Das Haus der Feuerfrau (German Edition)
und so durchzuckte mich der Gedanke, ob diese jähe Überfülle sinnlicher Bilder irgendetwas mit Robert Junkarts zu tun hatte, obwohl der mit seinem kürbisroten Haar und seinen kämpferischen Gesichtszügen eher an Irland denken ließ. Woher die Assoziation kam, wusste ich nicht, aber als ich an Junkarts dachte, fiel mir die alte Ballade vom „Croppy Boy“ ein:
And as I stood on the scaffold high
My own dear father was standing by
My own dear father did me deny
And the name he called me was the Croppy Boy ...
Ich kam jedoch nicht dazu, lange darüber nachzudenken.
„Charmion?“, rief Alec von hinten im Flur. „Wir warten auf dich.“ Ich hatte die hintere Seite des dunklen Flurs kaum betreten, da überkam mich von Neuem das unbehagliche Gefühl, das mich schon einmal befallen hatte. Eine Woge fiebriger Hitze, der gleich darauf ein heftiges Frösteln folgte, überlief mich. Meine Handflächen wurden klebrig. Die Luft in diesem Winkel erschien mir so stickig, dass ich nach Atem rang. Hastig machte ich einen Schritt auf die Hintertüre zu und riss sie auf. Es wurde besser, als ich den grünen Garten mit den Gemüsebeeten vor mir liegen sah und die frische Luft atmete, aber wohl fühlte ich mich immer noch nicht.
Wiederum war das Kind an meiner Seite verschwunden, sobald ich den verhexten Flur betreten hatte.
Trotzdem folgte ich den beiden Männern die Stufen zum Souterrain hinunter, schon weil ich nicht alleine oben im Flur stehenbleiben wollte.
Nach meinem ersten Besuch hatte ich mich gefragt, ob bei der ersten Besichtigung vielleicht nur mein Unwohlsein und die starke Kopfschmerztablette schuld gewesen waren, dass ich mich so entsetzlich unbehaglich gefühlt hatte. Aber kaum hatte ich den Keller betreten, wurde mir klar, dass die Tablette nichts damit zu tun hatte. Der Raum fühlte sich genauso scheußlich an wie beim ersten Mal.
Außerdem erinnerte er mich auf eine etwas peinliche Weise an den Traum, dessen Schauplatz er gewesen war. Dass ich so lebhaft von Robert Junkarts geträumt hatte, war nichts weiter Ungewöhnliches; ich träumte häufig von nackten Männerkörpern, Blut und Wunden. Aber es war ein erstaunlich plastischer Traum gewesen, so klar in jedem Detail, dass ich sofort das Mausloch wiederfand, dem das kirschrote Licht entquollen war. Ich spürte auch den Sog wieder, als ziehe irgendetwas mich mit unsichtbaren Händen zu dieser Stelle hin. Es musste doch eine Wasserader sein, entschied ich. Wenn Alec das Haus nahm und ich hier wohnen sollte, würde es sich lohnen, einmal einen Rutengänger zu bestellen.
Hinter mir hörte ich meinen Freund mit dem Gehstock an die rechte Seitenwand klopfen. Er stellte auch dem Baumeister die Frage, warum der Keller nur halb so groß sei wie das übrige Haus.
Der Mann pochte an der Wand herum, schüttelte dann den Kopf und antwortete, Hohlraum befinde sich keiner dahinter, also sei wohl die ganze Hälfte mit Erde aufgefüllt worden. „In Häusern aus dem 19. Jahrhundert lag die Küche meistens im Souterrain; es könnte sein, dass sie abgemauert und später aufgefüllt wurde.“ Warum jemand eine Küche mit Erde zuschütten sollte, konnte er uns allerdings auch nicht sagen.
Mir fiel auf, dass sich der Baumeister, während er den Keller besichtigte, sichtlich unwohl fühlte und wiederholt hustete und sich räusperte. Ich fragte ihn danach, und er antwortete, wahrscheinlich sei er allergisch gegen die Schimmelsporen, die in solchen Kellerräumen oft in der Luft schwebten. Auf jeden Fall empfahl er Alec, das Souterrain gründlich sanieren zu lassen.
Nicht
sanieren,
dachte ich.
Exorzieren!
Junkarts hatte uns beim Eintreten mitgeteilt, er würde das Gartentor offenlassen, damit wir nach Belieben gehen konnten – was wohl hieß, dass er sich nicht länger als unbedingt nötig mit uns abgeben wollte. Also verabschiedeten wir uns auch nicht von ihm, als wir das Haus verließen.
Alec und sein Begleiter waren schon draußen, als ich noch einmal einen Blick in die vom Zwielicht erhellte Halle mit ihren Horror-Möbeln zurückwarf – und diesmal sah ich die Bewohner des Hauses ganz deutlich.
Eine schemenhafte Frau in der Kleidung des
fin de siècle
schwebte die Treppe herunter, gefolgt von einem kleinen Jungen, der nur bis zur Hüfte sichtbar war (wenn man bei diesen wabernden Lichtgestalten überhaupt von „sichtbar“ sprechen konnte). Zwei andere Phantome – möglicherweise zwei Knaben, vielleicht aber auch zwei junge Mädchen mit Bubikopf-Frisuren –
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