Das Haus der Feuerfrau (German Edition)
widerfahren war, aber Tom Kornisch hatte uns alle (sogar Alec) gewaltig beeindruckt, und wir konnten uns von dem Gedanken an ihn und seine außergewöhnlichen Fähigkeiten nicht losreißen. Ich glaube, jeder von uns wurde von dem Gedanken verfolgt: Wenn dieser harmlos wirkende Mann nun etwas aus
meinem
Leben gesehen hätte? Etwas, was niemand weiß, wovon niemand wissen soll? Wo waren denn unsere kleinen Geheimnisse noch sicher, wenn ein Tom Kornisch in unsere Herzen hineinspähen konnte, mit seiner unheimlichen Hellsicht darin herumleuchten konnte, als richtete er den Schein einer Taschenlampe in einen finsteren Keller?
„Komm schon, Robert“, drängte Coco. „Mach‘s nicht so spannend!“
Unser Freund trank ein paar Schluck und begann dann zu erzählen. „Es passierte im Busbahnhof ... zu einer Zeit, als es mir sehr schlecht ging. Ich weiß nicht, ob einer von euch das Automaten-Café dort kennt ...“
Diesmal nickte ich. Das Café im Busbahnhof war eine von kalten Neonlampen erleuchtete Betonhöhle, so verlockend wie ein Parkhaus bei Nacht, in der lange Reihen von Automaten mit Essen und Getränken standen. Verzehren konnte man den Plastikfraß an einer Reihe unhygienischer Resopal-Tische, unter denen sich knöcheltief die leeren Becher und Packungen häuften. Das Lokal war 24 Stunden am Tag geöffnet, weil zu jeder Tages- und Nachtzeit Busse abfuhren, und wurde anscheinend nie gereinigt; stets hing ein schwerer, fettiger Dunst darin, der sich aus den Ausdünstungen des billigen Futters und der ungewaschenen Gäste mischte.
Robert fuhr fort: „Es war ein alter Mann in einem Tweedmantel, der mich ansprach und mich fragte, ob ich etwas zu essen haben wollte. Ein abstoßender Typ, klein, hutzlig, mit dicken Brillengläsern. Er roch unangenehm, wie alte Wäsche, mit irgendeiner medizinischen Beimengung, die in der Nase prickelte. Jedenfalls sah er aber nicht gefährlich aus, und nachdem ich den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte, war ich durchaus bereit, mir für eine Mahlzeit und eine Tasse Kaffee eine Menge Quatsch anzuhören. Inzwischen war ich daran gewöhnt. Ihr werdet es nicht glauben, was für Leute mich dort angesprochen haben! Manche wollten einfach nur ihre Lebensgeschichte loswerden und zahlten mir eine Tasse Kaffee und ein Sandwich, damit ich sitzen blieb und ihnen zuhörte. Andere wollten mich bekehren; im Busbahnhof wimmelte es nur so von Sektenwerbern der verschiedensten Richtungen. Ein Mann beschwatzte mich, an einem medizinischen Versuch teilzunehmen; er bekam eine Provision für jeden Freiwilligen, den er anbrachte, und ich erhielt eine warme Mahlzeit, ein Glas Rotwein und eine Spritze von irgendetwas, von dem ich bis heute nicht weiß, was es war. Nach einer Woche wurde ich untersucht, ob ich Kopfschmerzen, Fieber und Pusteln hätte, und als ich nichts dergleichen hatte, wurde ich weggeschickt. Ein Anderer wieder kaufte mir und jedem, der seine Unterschriftenliste unterschrieb, eine Tasse Kaffee. Also dachte ich mir nichts Schlimmes, als der Alte anfing, auf mich einzureden ...
Ich hielt ihn für einen Sektenmissionar, denn die fragten immer, ob ich mir nicht ein besseres Leben wünschte – und was hätte ich darauf schon sagen sollen außer Ja? Kann sein, dass mich diese hinterlistige Fragetaktik ärgerte, denn als er mich so in die Enge manövrierte, antwortete ich patzig: ‚Nein! Das Einzige, was ich mir wünsche, ist ein Strick zum Aufhängen!‘
Daraufhin kroch er so weit an mich heran, dass ich wirklich froh war, einen Tisch zwischen uns zu wissen, und zischelte – wobei er mich mit seinem Speichel besprühte – das sei eine kluge Entscheidung, aber ein Strick sei keine gute Idee, und er hätte etwas viel Besseres! Er hätte nämlich eine Maschine erfunden, mit der man sich ganz leicht und schmerzlos selbst töten könnte, und die würde er mir sogar noch kostenlos zur Verfügung stellen!
Dann fing er an, in seiner Aktentasche zu kramen und zog ein Fotoalbum hervor, in dem eine Menge Bilder steckten. Sie waren alle im selben Raum aufgenommen, einem widerlich verschmutzten und verkommenen Altbauzimmer, dessen Fenster mit schwarzer Farbe verschmiert waren, und zeigten sämtlich ein kurioses Gerät, das aussah, als sei es aus Schrott zusammengebastelt. Es ähnelte einem Taucherhelm oder einer Gasmaske aus Metall und dickem, faltigem braunem Gummi, hatte aber Riemen daran, die offensichtlich dazu dienten, es fest um Kopf und Hals zu schnallen. Es war durch einen gerippten
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