Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der Feuerfrau (German Edition)

Das Haus der Feuerfrau (German Edition)

Titel: Das Haus der Feuerfrau (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Büchner
Vom Netzwerk:
wie Schafe bei einem Gewitter. Robert flüsterte: „So stark war es noch nie.“ Wir spürten alle, wie aus der bizarr veränderten Wirklichkeit um uns herum ein Wesen geboren wurde, unnatürlich und widergöttlich, ein Rattenkönig all des Bösen im Haus. Erst war es nur ein schemenhaftes Wabern in der Luft, ein milchiger Schleier, den wir wie eine verirrte Wolke über dem unteren Ende der Treppe ins Erdgeschoss hängen sahen. Aber innerhalb von Minuten nahm es Form an. Freilich eine Form, wie ich noch nie eine gesehen hatte!
    Es war ein Konglomerat, ein wüstes Durcheinander halb schattenhafter, halb beklemmend wirklicher Erscheinungen, die sich beständig auf eine obszöne und krüppelhafte Weise miteinander vereinigten und wiederum trennten. Ich erinnerte mich später an einen Augenblick, in dem es ein Wesen mit
einem
Körper und einem aus zwei zusammengewachsenen Köpfen gebildeten Doppelgesicht war, wie ich es einmal in einem Pathologischen Museum gesehen hatte. Dann wieder teilte es sich wie eine Amöbe in ein halbdutzend Arme und Beine, und während es, ruhelos auf und nieder wallend, zwei Spannen hoch über der Treppe schwebte, verdichtete es sich zu einer schwarzen, kompakten Masse, aus der diese Arme und Beine herausragten wie die der acht-armigen Todesgöttin Kali auf den Darstellungen des indischen Pantheons. Alle seine Gliedmaßen waren in beständiger, schlangenhafter Bewegung, sie schienen alle nach uns zu greifen, wobei sie sich verlängerten und verkürzten – auf eine so gleichzeitig bedrohliche und spaßhafte Weise wie die Glieder des
Plastic Man
in den Comic-Heften.
    Was der Körper des Wesens war – dieser Klumpen in seiner Mitte, von dem die „Gliedmaßen“ ausgingen – pulste in Ekel erregender Weise wie ein riesiges, faulendes Herz. Ich roch den Gestank, den es ausströmte, den Verwesungsgestank in der Sonne gärender Eingeweide, den ich in Afrika einmal angesichts eines neben der Straße verrottenden Kuh-Kadavers gerochen hatte. Aber selbst noch in seiner Fäulnis pulste und klopfte es mit bedrohlicher Gewalt, dehnte sich aus und zog sich zusammen. Dort im schmierigen Zwielicht am Ende der Treppe schwebte das Herz eines ungeheuerlichen Wesens vor uns, das seinem Körper entrissen worden war und nun sinnlos vor sich hinvegetierte.
    Wenn es überhaupt Sinne hatte, so waren sie nur sehr rudimentär ausgebildet, denn ich merkte kaum etwas davon, dass es uns tatsächlich hörte oder sah. Es schien nur einen schemenhaften Eindruck von unserer Anwesenheit zu haben, etwa so, wie eine Wärme-Fotografie die Umrisse eines Körpers zeigt. Aber es erkannte uns immerhin deutlich genug, um seine ganze höllische Wut gegen uns zu richten.
    Das wirklich Grauenhafte an diesem Wesen war nicht seine äußere Gestalt, so abstoßend sie auch sein mochte. Es war der böse Wille, der von ihm ausstrahlte und körperlich fühlbar gegen uns alle anbrandete. Welle um Welle einer eisigen Niedertracht ging über uns hin, Übelkeit erregende Schübe eines krötenhaften Bewusstseins, das in dumpfer Wut vor sich hin brodelte und uns mit seinem Schleim bespie. Es hasste uns. Alle seine Gedanken waren darauf gerichtet uns zu zerstören – nicht aus einem persönlichen Grund, sondern einfach deshalb, weil es alles zerstören wollte, was lebte. So wie es uns zerfressen wollte, so hätte es jedes Tier und jede Pflanze, die ihm in die Quere kamen, in Fäulnis aufgelöst. Wo es hinkam, riss es brandige Löcher in das Gewebe der Welt: Ein schwarzer Stern, der unaufhaltsam alles in sich hineinsaugte, was in seinen Einflussbereich geriet, und es aus seinen innersten wirbelnden Schlünden ins Nichts spie.
    Ich sah das Böse im Herzen des Hauses vor mir.
    Allmählich kam die schleudernde und schlängelnde Bewegung des halb durchsichtigen, halb opaken Ungeheuers zur Ruhe, und ich konnte erkennen, dass es sich aus mehreren Personen zusammensetzte. Wie die unglückseligen Missgeburten, deren einziger Segen ein früher Tod gewesen war, waren die verschiedensten Gestalten in bizarrer Weise miteinander verschmolzen. Einige waren Scheitel an Scheitel zusammengewachsen, andere aus dem Becken eines ebenso verkrümmten und missgestalteten Partners entspringend, manche doppelköpfig mit einem einzigen, gemeinsamen Gesicht, wieder andere froschartig, ohne Schädeldach und Gehirn ... und alle waren sie von der grau-gelben, gequollenen Konsistenz in Formaldehyd konservierter Präparate, schwammig und runzlig zugleich. Doch lebten sie, und

Weitere Kostenlose Bücher