Das Haus der glücklichen Alten
Rechten über die Augen, als wollte ich mir von der erstarrten Haut die Brauen wegwischen. Ich dachte, in einer der kommenden Nächte würden mich die Geier vielleicht mehr als gewöhnlich erschrecken, und ich würde aufwachen und danach wie Dona Marta nur noch dahinvegetieren, ohne Tod und Erlösung. Senhor Pereira redete unbeirrt weiter, sie hatte einen Anfall, die Ärmste, und die Klingel war runtergefallen, darum konnte sie niemanden rufen. Sie blieb die ganze Nacht hilflos allein. Ein Glück, dass sie überhaupt noch am Leben ist.
Ich verspürte nicht das geringste Mitleid mit meiner Tochter. Ich wollte, dass sie sich todunglücklich davonscherte, und ich spürte, wie sehr ich ihre Welt verabscheute, eine Welt, in der alles durchorganisiert war wie im Beruf, und eine der Sachen, die sie zu erledigen hatte, war ich, ebenso wie sie sich um die Reinemachefrau kümmern oder die Lichtrechnung bezahlen oder natürlich auch wissen musste, wie die Kinder in der Schule waren. Lediglich eine Aufgabe mehr. Ich sah zur Heiligen Jungfrau von Fátima und sagte zu ihr, Mariechen, du solltest eine Frau sein, die sich bewegen kann und alles, dann würden wir den Täubchen einen Fußtritt geben und im Garten eine Runde drehen. Ich lachte, ging zu Senhor Pereira, und wir machten uns einen Jux. Wir besorgten uns einen Zettel und eine Rolle Klebeband und brachten an der Statuette der Heiligen Jungfrau von Fátima eine Aufschrift an: Mariechen, umgeben von Täubchen. Jetzt wirkte sie makellos, mit diesem Gesichtsausdruck einer traurigen Närrin, die nicht weiß, was sie tun soll. Eine hochheilige Gottesmutter und weiß nichts, tut nichts, verschwindet an denselben weißen Wänden, an denen wir alle verschwinden. Alles nur Betrug. Sie sollte sich nützlich machen, als Putzfrau. Mit einem Eimer Seifenlauge kommen und schrubben, so müsste eine Heilige sein, damit man etwas mit ihr anfangen kann, arbeiten sollte sie. Senhor Pereira, der sogar an etliche Heilige glaubte und manchmal Gott fürchtete, amüsierte sich, als sündigte er in einer Raserei, die sich nicht zurückhalten ließ, um sich schließlich einzugestehen, dass an der Sache mit der Seele immer noch etwas dran sei. Das mit der lebendigen Seele, sagte ich noch einmal, das ist ein Riesenquatsch, um uns hinters Licht zu führen, damit wir wie die Schafe Befehlen gehorchen und uns von der Angst leiten lassen. Sie haben wohl vor nichts Angst?, fragte er. Doch, und ob. Ich habe Angst, hier noch einsamer zu werden, als ich es schon bin. Sie sind nicht allein, Mann, wir sind viele hier, und wir fühlen alle genau das, was auch Sie fühlen, erwiderte er. Ich schwieg. Er sollte nicht merken, was ich fühlte und wie wütend ich immer noch war, so wütend, dass ich über die Leiden von jemand anders, auch von ihm, nur lachen konnte.
Dann setzten wir uns in den Hof, um die kräftige Sonne zu genießen, die, so schien es, Feuerbrände auf uns schleuderte. Plötzlich streckte Senhor Pereira einen Arm in die Luft und rief einen Mann heran, der noch viel älter war als wir und mit dem ich mich noch nicht unterhalten hatte. Esteves, rief er, Esteves, komm her, ich muss dir was erzählen. Der Mann setzte sich zu uns, sagte guten Tag und lächelte. Senhor Pereira erzählte ihm, wir haben die Statuette unseres Freundes Silva, die Figur von der Heiligen Jungfrau hier, mit einer Aufschrift verziert, jetzt steht darauf, sie heißt Mariechen, umgeben von Täubchen, stell dir vor, die Heilige der Täubchen. Die beiden lachten wie die Verrückten. Er sagte noch einmal, sie heißt Mariechen, und eigentlich ist sie nur eine Puppe wie jede andere, meint Senhor Silva. Esteves sagte, ihr spielt also jetzt mit Puppen. Was redest du denn da, wir spielen mit dem, was sich findet, das ist wenig genug. Sie lachten noch einmal auf und verstummten. Wir waren wieder allein und spürten die Feuerbrände, die uns für eine Weile trösteten. Dieser Esteves war inzwischen aufgestanden und wirbelte unter den Leuten umher, mal stand er bei denen vorne, mal bei denen hinten. Dann, schon im Saal, stritt er sich mit jemandem. Wir verstanden nicht, worüber sie sprachen, aber es interessierte uns auch nicht. Als fiele ihm etwas ein, das er vergessen hatte, überraschte mich Senhor Pereira plötzlich mit der Frage, wissen Sie eigentlich, wer dieser Esteves ist? Mit demonstrativem Desinteresse und wie als Beleg meiner Unkenntnis verzog ich den Mund. Er sagte, das ist der unmetaphysische Esteves, ja, der aus dem Gedicht von
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