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Das Haus der glücklichen Alten

Das Haus der glücklichen Alten

Titel: Das Haus der glücklichen Alten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valter Hugo Mae
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Hause zu gehen. Ich stand auf. Ich ging in Doktor Bernardos Zimmer und sah, dass meine Elisa so niedergeschlagen war, wie sie sich schon als kleines Mädchen fühlte, wenn ihr Denken von der Entwicklung der Dinge überfordert war und wenn ihr Herz nicht wusste, wie es dem Leiden ein Ende machen sollte. Ich umarmte sie und ich küsste sie. Trotz allem brauchte mich diese neunundvierzigjährige Frau noch immer. Sie war noch ein kleines Kind, wie wir es, meine ich, in den traurigsten Minuten des Lebens alle sind. Doktor Bernardo ließ uns allein, aber unterhalten wollte ich mich nicht mehr. Sie sollte nur begreifen, dass ich ihr, für kurze Zeit gewissermaßen, verzieh, es war das einzige Verzeihen, das ich ihr schenken konnte. Ein schnelles und kurzes Verzeihen. Als könnte auch ich mich einen Augenblick lang eines kleinen Herzens bedienen, um alles weniger stark zu empfinden oder irgendein Geizhals zu sein. Das erinnerte mich an den Tag, als Elisa auf der Schaukel saß und uns bat, sie anzustoßen, damit sie immer schneller immer höher käme. Ich tat es, und es machte mir Spaß mit ihr. Diese Umarmung und dieser Kuss damals waren ein einziges Anstoßen. Es lag darin mein Wunsch, dass sie im Leben noch viel Freude haben und noch höher schaukeln sollte. Allerdings reichte meine Kraft nicht, bis zum Abend mit ihr zusammenzubleiben. Als sie ging, hatte sie sich, wie ich glaubte, so weit beruhigt, dass noch ein Spaziergang, ein Kinobesuch oder ein entspannter Restaurantbesuch im Shopping-Center möglich war, dort würden sie noch gemütlich zusammensitzen und sich miteinander verbunden fühlen können, ganz, wie es sein sollte. Ich würde nie dazu beitragen wollen, dass meine Tochter mehr litt, als nötig war. Auch die Wut auf meinen Sohn, in die ich mich hineingesteigert hatte, war wohl vor allem eine übertriebene Reaktion auf Absichten, die er nie gehegt hatte. Das kam, weil ich so tief unglücklich, verletzt und durcheinander war bei dem Gedanken, was Familie letzten Endes bedeutet. Dieser Tag lag mir schwer auf dem Magen. Mir ging viel wirres Zeug durch den Kopf, bis hin zu der Überzeugung, ich müsse meine Kinder beschützen, doch erst, nachdem ich ihnen meine ganze Verachtung gezeigt und sie den Gefahren ausgesetzt hätte, durch die sie, wie mein Instinkt mir einredete, reifen würden und begreifen, was richtig und was falsch daran war, wie sie sich zwischen mich und Laura schoben, arme Laura, sie hatte am meisten verloren. Sie hatte sogar das Recht verloren, eine Meinung zu haben, aufzubegehren und diejenige zu sein, die die Kinder anschrie, damit sie endlich begriffen, was sie falsch machten, und wie wenig das, was sie taten, mit der Welt in Einklang zu bringen war, von der wir einmal geträumt hatten. Von einer anderen Welt zu träumen birgt noch größere Gefahren in sich. Es bedeutet, mit Ehrgeiz zu tun, was ohnehin unmöglich ist.
    Dann kam Doktor Bernardo herein und wollte etwas verstehen, ein Psychologenlaster. Ich machte Anstalten zu gehen. Erklärte ihm, ich hätte den unmetaphysischen Esteves entdeckt und wäre noch gar nicht richtig wieder zu mir gekommen. Das ist doch nur ein Hirngespinst, war seine Reaktion darauf. Glauben Sie?, fragte ich. Ich weiß nicht, kann aber sein. Das kommt vom Neid, erwiderte ich, weil wir es nicht selber erlebt haben. Doktor Bernardo lachte und nickte. Sie haben recht. Wer würde nicht ein Vermögen dafür hergeben, in einem Vers von Fernando Pessoa verewigt zu sein! Im Hinausgehen dachte ich bei mir, der unmetaphysische Esteves mit seinen fast hundert Jahren ist die beste Heilige Jungfrau von Fátima im Haus. Das befreite mich ein wenig von dem vagen Gefühl, ich könnte mich an diesem Nachmittag zugrunde richten. Laura, wenn sie noch lebte, wäre wohl im Angesicht dieses Mannes vor Ergriffenheit in Ohnmacht gefallen. So war sie, grenzenlos begeisterungsfähig. Meine Laura hatte diesen Tag nicht mehr miterlebt, doch sie hätte bestimmt gern gesehen, dass ich ihn mir zunutze machte. Dieser Gedanke kam mir zum ersten Mal fast fünf Monate nach ihrem Tod. Meine Laura hätte mein Bestes gewollt, sie hätte gewollt, dass ich von dieser Entdeckung begeistert wäre, allein, aber in Vertretung von uns beiden. Wie wenn ich für uns beide etwas entdeckt hätte, was zu entdecken nur mir vergönnt war. Mir traten Tränen in die Augen. Ich lief zurück. Beschämt sah ich Doktor Bernardo an. Ich sagte ihm, ich würde gern das Grab meiner Frau besuchen. Er sagte kein Wort. Früher oder

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