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Das Haus der glücklichen Alten

Das Haus der glücklichen Alten

Titel: Das Haus der glücklichen Alten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valter Hugo Mae
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sie hingestellt hatte, und ich gratulierte mir ein ums andere Mal zu ihrem süßen Unglück. Immer wieder ging ich an der Frau vorbei, stolz davon überzeugt, ihr Leid wäre viel geringer als meines. Ich musste ständig über meine Gefühle nachdenken, damit sie weiterhin mit meinem Schmerz übereinstimmten sowie mit der Beschleunigung, die ich der Zeit abverlangte. Damit sie sich in den Abgrund stürzt. Damit sie uns in den Abgrund stürzt.
    Plötzlich, zwei Tage später, erschien wieder der Postbote, und sein Fahrrad lehnte an der üblichen Stelle, alles wie immer. Er trat in die Vorhalle des Hauses, die wir vom Saal aus einsehen können. Kaum war er eingetreten, stand Dona Marta auf und stellte sich an den gewohnten Platz, um darauf zu warten, dass Américo kam und die Post verteilte. Aus eigener Kraft und eigenem Willen war Dona Marta aufgestanden, und ich sah mich, ohne Körper um drei Uhr nachts, wie ich sie so lange schlug, bis sie keinen Mucks mehr sagte. Ich ließ mich auf das große Sofa sinken, beobachtete die Frau von weitem, und erst dabei fiel mir wieder ihr Geisteszustand ein, ihre Panik, ausgelöst durch meine hilflose Art, von Liebe zu sprechen.
    Und alle wunderten sich, als sie sahen, dass Dona Marta eine Initiative ergriff, und alle hofften, sie würde sich erholen und sogar die Sprache wiederfinden. Alle waren sich einig darin, dass dem Haus ihr Lachen fehle, so eine romantische Seele dürfe nicht verlorengehen. Ich aber meinte, dass Romantik nur gequirlte Scheiße wäre und aus dem Hintern irgendeines blöden Viehs käme, und ich wurde wütend. Nur für einen Sekundenbruchteil. Ich biss mir schnell auf die Lippen, damit die Alten nicht meine Schuld argwöhnten.
    Nach dreiundzwanzig Tagen kamen Elisa und mein Schwiegersohn mich besuchen. Sie brachten meine Enkel mit, den Jungen und das Mädchen. Ich spürte, dass ich die Begegnung nicht länger hinausschieben konnte. Sie kamen in mein winziges Zimmer herein, dessen Fensterläden offen standen, um zu zeigen, dass wir in großer Helligkeit leben, bauten sich sofort in Reih und Glied vor dem Kleiderschrank auf und blieben dort stehen, als posierten sie für ein Truppenmagazin. Ich sah, dass sie in Gala waren. Alle waren sie sonntäglich herausgeputzt, um mich zu besuchen, und ich konnte mir bestens vorstellen, wie Elisa dazu präzise Befehle gegeben hatte. Zieht euch ordentlich an, wir besuchen Großvater. Ich kam mir vor wie ein Idiot, weil ich früher einmal angenommen hatte, sie würden mich ständig besuchen, als etwas Alltägliches, damit ich weiter an die Familieneintracht glaubte. Ich muss wirklich ziemlich blöd aus der Wäsche geguckt haben, als ich gewahr wurde, wie sehr sie sich herausgeputzt hatten, weil sie meinten, es müsse so sein. Wo sie doch den besuchten, den sie früher jeden Tag um sich hatten. Ich kam mir vor, als hätten sie mich zum Ausflugsziel eines langweiligen Spaziergangs gemacht, ebenso wie sie in den altmodischen Zoo gingen und es gehorsam unterließen, die Tiere zu füttern, weil sie sonst den Fütterungsplan stören und Krankheiten begünstigen würden. Elisa sagte, sie sei traurig, weil ich sie bei zwei früheren Besuchen nicht empfangen hätte. Ich knurrte nur irgendetwas Unverständliches. Ich dachte sogar noch an die Ausrede, da hätte ich gerade geschlafen oder etwas Wichtiges zu tun gehabt. Aber solche Entschuldigungen sparte ich mir lieber. Wir hatten dort überhaupt nichts zu tun, und so wie dies auch für die anderen galt, die sich schon mehr daran gewöhnt hatten, bedeutete ein Besuch ja immer die Gelegenheit zu einer gewissen Begeisterung. Ja, Begeisterung, die sich zunächst durch eine lebendige und ungewohnte Stimmung zeigte, zudem gehörte auch die eigennützige Überlegung dazu, man könnte uns etwas mitbringen, das wir haben wollten. Sogar eine kleine Nascherei konnte ein hinreichendes Wunder sein, und letzten Endes, bei weitem nicht der letzte Begeisterungsgrund, gab es den einen oder anderen Alten, der seine Angehörigen sogar gern wiedersah, beruhigt von ihrem Glück oder Unglück, und der seine Sehnsucht und Liebe mit einer Leichtigkeit äußerte, die meiner Ansicht nach paradox war und die mir als großer Mangel an Selbstachtung erschien, wie Bettelei. Bettelei vor allem dem gegenüber, der sie mal waren.
    Ich blieb auf meinem Stuhl sitzen, um die Rolle eines müden Greises zu spielen, während sie die ganze Zeit stramm standen. Und zwar vor allem, weil sie das Gefühl hatten, etwas gutmachen zu

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