Das Haus der glücklichen Alten
irgendwelche Unterlagen oder Röntgenbilder, schauen sich die Gesichtsfarbe der Patienten an und entscheiden, wie es ihnen in den Kram passt. Aber machen Sie sich keine Sorgen, die wissen, was sie tun, sie haben sogar Herz, wenn ich sie recht verstehe. Ohne meine Frau kann ich aber nicht nach Hause, ich kann sie nicht allein hierlassen. Sie sei doch gar nicht allein. Allein ohne mich, das ist die Einsamkeit, um die es mir geht, darum habe ich Angst. Das hat es noch nie gegeben. Jawohl, noch nie in fast fünfzig Jahren Ehe. Wir hatten Glück. Ja, wir hatten Glück. Daran soll es nicht liegen, sagte er, Sie können hier bei mir bleiben, wenn Sie es mit mir aushalten. Sie sind mir sympathisch. Ich rede mit den Wachleuten, und Sie bleiben die Nacht über hier, schauen mir zu, wie ich Formulare ausfülle, und lauschen dem Regen. Ich sage einfach, Sie sind mein Cousin. Wir könnten ja Cousins sein! Wie alt sind Sie? Gerade vierundachtzig geworden. Nicht zu glauben, sieht man Ihnen wirklich nicht an. Ich bin fünfundsechzig und gehe nächsten Monat in Rente. Ich habe genug von der Schinderei, ich will mich endlich auf die faule Haut legen.
Über die Welt draußen brach mit Gewalt der Regen los. Er schlug an die Fensterscheiben, als steckte in ihm ein vielzahniges Ungeheuer, das uns zu verschlingen drohte. Ich sackte auf den Stuhl vor dem Schreibtisch, an dem der andere wieder seine Arbeit aufnahm. Ich fühlte mich umzingelt.
Die Rente, die müsste früher kommen. Noch vor den Rückenschmerzen und der Fahruntauglichkeit. Ich fahre nicht mehr Auto und auch nichts anderes. Die Scheinwerfer blenden mich, und der Lärm und die Leute überall verwirren mich vollends. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie scharf ich darauf bin, zu Hause zu bleiben, ohne was zu tun, bloß spazieren gehen und frisches Gemüse essen. Noch mehr aber habe ich satt, was ich hier tun muss. In diesem Räderwerk bin ich der Hinterletzte. Der letzte Arsch, wenn Sie verstehen. Der Scheißdreck, den keiner machen will, dieser ganze Scheißdreck landet bei mir auf dem Tisch. Und wenn ich durchsehe, wer hier rein darf oder rein muss, fertige ich das Leben ab, als hätte ich Lust, möglichst schnell einen Strich darunter zu ziehen. Ich bin einer von denen, für die das Leben nur Schmerzen bedeutet hat. Je früher ich mich hinlegen und ausruhen kann, umso glücklicher bin ich. Das hier ist sehr gut für einen, der gerade anfängt und noch gesund und munter ist. Aber für unsereins, die Älteren, ist es schon traurig, herzukommen und zu sehen, wer krank ist und wer stirbt. Jeden Tag das Gleiche. Wir existieren, um zu sterben, da können Sie sicher sein, und es gibt kein Wunder, das irgendwelche Engel oder Heilige vorbeischickt, um jemanden wiederauferstehen zu lassen. Wer hin ist, ist hin und kommt nicht wieder auf die Beine. Ich sehe das hier genau. Es gibt kein Erbarmen für die Gerechten oder Guten, am Ende sind sie genau solche kreideweißen Leichen wie die Bösen oder Geizigen, sie kommen genauso in den Sarg, und wissen Sie, was das Unglaublichste daran ist?, ihre Eltern haben genauso für sie gebetet. Es passt alles genau zusammen, um zu beweisen, dass wir alle zu Staub werden und von genau derselben Kraft sind, und mehr nicht. Wenn dieser Regen nur ein bisschen stärker wird, kommt er noch hier rein. Im Ernst, das ist schon vorgekommen. Einmal gab es hier ein Unwetter, das hatte offenbar eine Rechnung offen mit uns. Es hatte schon erste Schläge ausgeteilt, in der Umgebung, meine ich, als es aber das Krankenhaus erreichte, muss es hier jemanden gekannt haben. Unsere milchspendende Gottesmutter vielleicht. Es trommelte damals so wild an die Fenster, dass nach ein paar Minuten, ich weiß nicht mehr genau, wie es passierte, etliche Scheiben zu Bruch gingen. Und der Sturm war hier, wo wir jetzt sind, so stark, dass ich nur deshalb nicht in Einzelteile zerlegt wurde, weil ich die Katastrophe vorausgeahnt und mich am Boden verkrochen hatte. Ich wollte sehen, was kommen würde. Jetzt ist es was anderes. Es ist alles verstärkt worden. Das hier geht nicht bei irgendeinem Platzregen in die Brüche. Seien Sie beruhigt. Nicht einmal, wenn es dieses Gewitter auf Sie persönlich abgesehen hat, kann es Sie hier drin erwischen. Ich wollte Ihnen nur ein bisschen Angst machen.
Glauben Sie, den Autos könnte was passieren?, fragte ich. Ich weiß nicht, ich glaube, heutzutage schwimmen die Autos wie Spielzeugschiffchen auf dem Wasser, bis sie sich dann irgendwann
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