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Das Haus der glücklichen Alten

Das Haus der glücklichen Alten

Titel: Das Haus der glücklichen Alten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valter Hugo Mae
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lauter Alltäglichkeiten bestand, mit Farben an den Wänden. Im Heim, im ganzen Haus, sind alle Wände weiß, und zwischen der eindringlichsten Leere des Himmels und den weißen Wänden gibt es keinen Unterschied. Wir fühlen uns blind, ein Fleck oder eine unebene Stelle im Putz ist schon etwas Besonderes, das wir zu beobachten lernen und das uns hilft, die reichlich vorhandenen sinnlosen Wiederholungen um uns herum zu durchbrechen. Eines Tages müssen wir im Licht verlöschen. Dieses Weiß ist die Lehrzeit für den endgültigen Zerfall.
    Man teilte mir mit, Abendessen gebe es in drei Stunden. Bis dahin könne ich mich ausruhen oder herunterkommen, um die Mitbewohner kennenzulernen, die wie ich mit mehr oder weniger großer Angst der Grube entgegensahen. Ich beschloss, allein zu bleiben, weil ich es noch nicht schaffte, mit meinem in jeder Hinsicht um ein Vielfaches angewachsenen Problem fertig zu werden. Ich legte mich auf die Bettdecke und überlegte, wie ich die Wut, die sich in mir angestaut hatte, irgendwie rauslassen könnte. Diese verzweifelte, absolut körperliche Motorik, von der ich sprach, müsste in mir vielleicht endlich die Oberhand gewinnen, um zu zeigen, dass mir das Alter noch nicht völlig das Blut aus den Adern gesogen hatte. Ich presste die Hände zusammen, mit ganz wenig Kraft, die keinen großen Schaden anrichten könnte, wenn ich sie gegen die anderen oder gegen Sachen einsetzte. Es war so, als knipste ich mit einem Schalter die Initiative ein oder aus. So blieb ich liegen. Die tiefe Stille wirkte lähmend und einschläfernd. Ich war wohl nicht besonders müde, doch die hygienische Umgebung verhüllt uns hinter einem Vorhang, und wir bekommen das Gefühl, wir erhielten uns nur dann am Leben, wenn wir uns ernsthaft an der Zeit beteiligten. In dieser Weiße ereignet sich nur die Zeit, dachte ich, nur die Zeit vergeht in ihr. Ich blickte zur Statuette der Heiligen Jungfrau von Fátima und dachte im Stillen, du tust mir leid, du wirst bei den Traurigen an den allertraurigsten Orten der Welt ans Kopfende des Bettes gestellt, und du willst mir beistehen, jetzt, wo ich dir nichts zeigen kann, was es lohnen würde, dass du ständig deine blauen Augen offenhältst und mir die Hände entgegenstreckst. Vielleicht sollte ich die Figur ja zerschlagen. Sie von der Pflicht befreien, mit einer heiligen Feierlichkeit dazustehen, die mit Sicherheit selbst den stärksten Geist überfordert. Vielleicht sollte ich die anderen daran erinnern, dass ich kein religiöser Mensch bin und selbst dann nicht an Phantastereien glaube, wenn ich meine Frau verloren habe.
    Man kam mich zum Abendessen holen, und ich ging nach unten. Ich wollte mich nicht gehenlassen, aber plötzlich verlor ich jeden Antrieb und beschloss, nur noch dann zu gehorchen, wenn ich nicht anders konnte. Allein stieg ich die breite Treppe hinunter, in einem kindischen Stolz wollte ich ihnen beweisen, dass ich immer noch alles selber tun konnte, das sollten sie wissen, das war wichtig. Vielleicht lag darin ja eine Chance, ihnen klarzumachen, dass es meine Kinder übertrieben eilig gehabt hatten, mich als Pflegefall ins Heim abzuschieben. Vielleicht war es aber auch nur die Angst, die anderen zu sehen, die schon älter und vergreister waren als ich, und ich wollte noch nicht gleich dazugehören. Ich bin hier nur zu Besuch, redete ich mir ein, selbst wenn ich nicht die geringste Hoffnung hatte, von diesem Ort je wieder wegzukommen.
    Als mich Doktor Bernardo sah, ermunterte er ein paar Gäste, mich bei meiner Ankunft mit Beifall zu begrüßen. So wurde ich empfangen, als ich noch nicht die letzten Treppenstufen erreicht hatte. Wer konnte, stand auf und lächelte. Ich wusste nicht, wie ich danken sollte und ob man sich für so was überhaupt bedanken muss. Auf diese Weise trat ich ein in den Kreis der Letzten, während sie sich darüber freuten, dass sie nicht die Einzigen waren und dass einer mehr von diesem Schicksal ereilt wurde. Ich schaute auf den Boden und sah mich nicht groß um. Ich lief weiter zum Speisesaal, suchte mir einen Platz am abgelegensten Tisch und setzte mich, so schnell es ging, hin. Ein paar der Alten wollten nicht zulassen, dass ich so ganz ungeschoren davonkäme. Sie traten an mich heran, um mir zur Begrüßung die Hand zu reichen. Da schon das Essen aufgetragen wurde, schickte man sie zurück an ihren Platz, und ihnen blieb keine Zeit, sich ins Zeug zu legen. Sie stellten sich lediglich kurz vor, etwas verärgert sogar, weil sie sich

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