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Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)

Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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warteten. Der Richter gewährte uns eine Stunde.
    Es war die längste Stunde meines Lebens. Wir gingen im Korridor auf und ab, beobachteten beide Eingänge und sahen ständig auf unsere Uhren. Der Drache und sein immer größer werdendes Gefolge saßen auf Bänken unter den hohen Fenstern, unterhielten sich leise und lachten gelegentlich laut auf. Manchmal sah er mit triumphierendem Blick zu mir herüber, und ich fragte mich zum wiederholten Mal, womit ich mir eigentlich eine solche Feindschaft verdient hatte.
    Betty Chan kam nicht.
    »Wo bleibt Ihr Zeuge, Mr. Winterborn?« fragte der Richter, als der überfüllte Gerichtsaal zur Ruhe gekommen war.
    »Euer Ehren, wenn wir vielleicht noch …«
    »Mr. Winterborn, haben Sie einen Zeugen, den wir aufrufen können, oder nicht?«
    »Euer Ehren, ich beantrage eine …«
    »Sie strapazieren die Geduld des Gerichtes, Mr. Winterborn.«
    In diesem Moment öffnete sich die Doppeltür, und Mr. Winterborns Privatdetektiv eilte herein. Im Zuschauerraum gab es Gemurmel und Bewegung. Die Menschen spürten, daß sich etwas Dramatisches anbahnte, als der Mann hinter uns an die Absperrung trat und leise sagte: »Betty Chan ist tot. Sie haben ihre Leiche soeben aus der Bucht gezogen.«
    Ich muß laut aufgeschrien haben, denn der Richter mußte erneut seinen Hammer einsetzen, um die Ordnung im Saal herzustellen. Ich sah Gideons blasses Gesicht und dann den ungeheuren, leeren Schlund am Ende der Welt, der sich auftat, um mich zu verschlingen. Ich würde alles verlieren.
    Den Prozeß, meine Firma, meine Ehre, meinen Traum.
    Als mein Gatte sich langsam erhob, dachte ich, er wolle den Saal verlassen. Statt dessen erklärte er zu meinem Entsetzen mit uncharakteristisch lauter Stimme: »Ich bin der Zeuge, Euer Ehren.« Und zu Mr. Winterborn: »Ich bin jetzt bereit auszusagen.«
    Der Anwalt sah ihn ratlos an und blickte dann mit hochgezogenen Augenbrauen auf mich. Aber ich hatte keine Ahnung, worauf Mr. Lee hinauswollte.
    Ich sah zu, wie er vor den Richtertisch trat, dieser große, überschlanke Mann, der mir immer älter vorgekommen war, als er tatsächlich war, ein Mann von so stillem Wesen, daß ich in seiner Gegenwart an klösterliche Gelehrte in Mandaringewändern denken mußte. Er ging zum Zeugenstand, zog einen Umschlag aus der Tasche und reichte ihn dem Richter. Dann verkündete er dem verstummten Publikum laut und klar: »Dieser Umschlag enthält ein Attest, das meinen einwandfreien Gesundheitszustand bestätigt. Der Arzt, der mich untersucht hat, befindet sich im Saal.«
    Hierauf griff er zu meinem noch größeren Entsetzen wieder in die Tasche und holte eine Flasche heraus. »Diese Flasche Starker Mann habe ich in Fen Yuens Markt auf der Grant Street gekauft und den Ladeninhaber gebeten, sie zu versiegeln.« Er gab sie dem Richter. »Wie Sie sehen, ist das Siegel unversehrt. Der Ladeninhaber ist ebenfalls anwesend.«
    Die Zuschauer tuschelten, sprachen durcheinander, staunten.
    Ich saß zu Stein erstarrt, als mein Mann den Richter bat, die Flasche zu öffnen. Während die Blitzlichter zuckten und die Wochenschaukameras surrten, erfüllte der Richter den Wunsch und gab Mr. Lee dann die Flasche zurück.
    Mit einer dramatischen Gebärde, die ich ihm nie zugetraut hätte, wandte sich mein Gatte dem Publikum zu und trank, bevor ich überhaupt reagieren konnte, die ganze Flasche Starker-Mann-Tonikum, hergestellt von der Roter-Drache-Gesundheitsgesellschaft, aus.
    »Nein!« schrie ich.
    Der Gerichtssaal tobte. Kameras blitzten, Menschen brüllten, Reporter rannten zu den Telefonen. Der Anwalt des Roten Drachen, außer sich vor Wut, versuchte dem Richter etwas mitzuteilen. Wieder und wieder sauste der Hammer nieder. Ich eilte zu meinem Gatten, der mit der leeren Flasche in der Hand dastand.
    Er hatte das Mittel auf leeren Magen genommen und spürte die Wirkung fast sofort. Als der Arzt eintraf, saß Mr. Lee auf dem Boden, den Rücken gegen den Richtertisch gestützt, und sein Herz raste so, daß ich den Puls nicht fühlen konnte. Sein Gesicht war totenbleich, die Haut naß von Schweiß. Ich fürchtete, er würde an Ort und Stelle sterben. Sein Leben rann durch meine hilflosen Finger.
    In sprachloser Verwunderung starrte ich ihn an und merkte kaum, daß Gideon die Neugierigen zurückhielt. »Machen Sie Platz!« schrie er. »Ist der Doktor da?« Männer mit Kameras versuchten sich vorzudrängen. Ich hörte das Schluchzen von Frauen.
    Mr. Lee wurde sofort ins Krankenhaus gebracht.

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