Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
den der Trank bestimmt war?«
Mr. Winterborn stand auf. »Einspruch, Euer Ehren. Die Identität des Kunden ist hier ohne Belang.«
»Ich bin anderer Ansicht, Euer Ehren. Mein Klient ist überzeugt, daß man eine Verschwörung gegen ihn angezettelt hat. Der Name von Mrs. Lees Kunden ist von unmittelbarer Wichtigkeit.«
»Einspruch abgelehnt. Beantworten Sie die Frage, Mrs. Lee.«
Ich hatte nicht gedacht, daß es so weit kommen würde. Ich hatte geglaubt, die Briefe würden vertraulich bleiben.
»Mrs. Lee?« sagte der Anwalt. »Würden Sie bitte dem Gericht den Mann nennen, für den Sie Ihr Stärkungsmittel herstellten?«
Ich drehte mich zu Gideon um. Sein Gesicht war bestürzt.
»Mrs. Lee?«
Und so erklärte ich vor allen diesen gaffenden Fremden und Reportern und Wochenschaukameras: »Ich erfand dieses Mittel für meinen Ehemann, Mr. Lee.«
Bei diesen Worten brach im Gerichtssaal Chaos aus. Grelle Blitzlichter zuckten auf, und Reporter rannten zur Tür. Ich sah auf meinen Mann, der mit ruhiger Würde, den Kopf hocherhoben, in der ersten Reihe saß.
Nie hatte ich Gideon so zornig gesehen. »Sie wird den Geiern zum Fraß vorgeworfen!«
Mr. Winterborn schüttelte den Kopf. »Gideon, uns sind die Hände gebunden. Harmonie hat für ihre Behauptungen keine Beweise vorlegen können. Jetzt müssen die Geschworenen entscheiden, und ich glaube nicht, daß man auf unserer Seite ist.«
Gideon starrte ihn grimmig an. »Haben Sie nicht gesagt, es wäre hilfreich, Frauen unter den Geschworenen zu haben?«
»Das dachte ich auch, aber ich habe mich getäuscht.«
»Wieso?«
»Weil Harmonie jung und schön ist und ihren Männern Sexmittel verkauft. Die Frauen betrachten sie als Bedrohung.«
»Hören Sie«, sagte Gideon, »wir verfügen über unterzeichnete, eidesstattliche Erklärungen von Chemikern, die bezeugen, daß das Tonikum des Roten Drachen gefährlich ist. Unterstützt das nicht Harmonies Aussage?«
»In ausreichend großer Menge ist jeder Stoff giftig. Außerdem haben wir keinen Beweis dafür, daß jemand an Starkem Mann wirklich gestorben ist. Darin liegt das Problem … wir arbeiten mit Vermutungen, nicht mit Tatsachen.«
»Aber Harmonie hat Namen genannt.«
»Ja, von Männern, die krank waren und starben. Aber woran? Es gab keine Autopsien. Wir kennen den Gesundheitszustand vor Eintritt des Todes nicht.« Er wandte sich mir zu und stieß einen rauhen Seufzer aus. »Mrs. Lee, ich glaube, Sie sollten sich auf das Schlimmste gefaßt machen.«
Aber ich weigerte mich, die Hoffnung aufzugeben. »Mr. Winterborn«, sagte ich, »neulich war eine Frau im Gerichtssaal. Sie blieb nur ein paar Minuten. Ich glaube, sie hatte Angst. Gleich, nachdem ich sie sah, verschwand sie wieder.«
»Und wer ist sie?«
»Zuerst konnte ich mich nicht erinnern, aber dann fiel es mir ein. Sie heißt Betty Chan und hat vor neun Jahren für mich gearbeitet. Ich bin fast sicher, daß sie es war, die meine Ideen stahl und an den Roten Drachen weitergab. Wenn wir sie finden und zur Aussage bewegen könnten …«
»Ich werde meinen Privatdetektiv auf sie ansetzen.«
Nachts lag ich im Bett und weinte. Welche Zukunft konnte ich meiner Tochter jetzt noch bieten? Eine Mutter ohne Ehre? Eine Familie ohne Vermögen? Mr. Lee nahm mich in die Arme und tröstete mich. Selbst im Bett nannte ich ihn Mr. Lee. Er hielt mich in seiner sanften Umarmung, bis ich einschlief.
Als wir am nächsten Morgen zum Gericht kamen, hatte Mr. Winterborn gute Nachrichten. »Mein Detektiv hat die Adresse von Betty Chan herausgefunden. Er ist unterwegs zu ihr.«
»Glauben Sie, er kann sie überreden, auszusagen?« fragte Gideon. Wie üblich ging er an meiner Seite, als wir uns einen Weg durch die Menge bahnten, während Mr. Lee und Olivia uns folgten. Die Presse hatte das bereits bemerkt und sparte nicht mit Anspielungen auf »die ständige Begleitung durch Mr. Gideon Barclay«. Mr. Winterborn hatte vorgeschlagen, Gideon solle sich nach außen hin von mir fernhalten, war aber auf taube Ohren gestoßen.
»Das kommt natürlich auf die Umstände an, aber mein Mann kann sehr überzeugend sein«, antwortete Mr. Winterborn mit einem Lächeln, »vor allem bei den Damen. Ich habe ihn außerdem beauftragt, ihr anzudeuten, daß man sie für ihre Mühe entschädigen würde. Das ist nicht unbedingt die feine Art, aber dieser ganze Prozeß ist schließlich eine Farce.«
Mr. Winterborn beantragte eine Unterbrechung, während wir auf einen neuen Zeugen
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