Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
San-Fernando-Tales … Schlammlawinen in Malibu …
Sie schaltete das Radio wieder aus. Ganz und gar kein gutes Omen!
Sie sprang auf und lief mit schnellen Schritten durch das geräumige Haus am Hang, hinüber zur Küche, wo die Haushälterin gerade das Abendessen vorbereitete. Im Vorübereilen schnappte sie sich ihre riesige Ledertasche, die ihr zugleich als Aktenmappe und Einkaufsbeutel diente, ergriff die Autoschlüssel und rief: »Ich muß ins Werk, Yolanda. Ein Notfall. Ich hab keine Ahnung, wann ich wieder zurück bin.«
»Pedro sollte Sie fahren«, sagte die Haushälterin und meinte damit ihren Mann, der sich als Handwerker um alles auf Charlottes rund 52000 Quadratmeter großem Wüstengrundstück kümmerte. »Das Gewitter ist furchtbar.«
»Das ist schon in Ordnung. Keine Sorge.« Die Sanchez’ waren schon seit acht Jahren bei Charlotte. Sie waren ihr aus San Francisco hierher gefolgt, als, wie Mrs. Sanchez der Kassiererin an der Lebensmittelkasse bei Ralph’s gern erzählte, »die Medizin umgezogen ist. Wir konnten doch die Senorita nicht im Stich lassen. Sie braucht jemanden, der sich um sie kümmert. Auch wenn sie es selber nicht weiß.«
»Aber was ist mit Ihrem Abendessen?« Yolanda zeigte auf die brodelnden Töpfe, brutzelnden Pfannen und die mit Gemüse und Kräutern überhäufte Arbeitsplatte.
»Ich hol mir was aus der Kantine.« Charlotte verschwand durch die Verbindungstür zur Garage.
Kantine! dachte Yolanda voller Schrecken. Dann mußte es wirklich ein sehr schlimmer Notfall sein, wenn es der Senorita egal war, was sie zu sich nahm. Besser als jeder andere kannte Yolanda die seltsamen Eßgewohnheiten ihrer Arbeitgeberin.
Für heute abend hatte Yolanda auf Miss Lees Anordnung einen Lotuswurzelsalat vorbereitet. Nicht etwa deshalb, weil Miss Lee den Geschmack von Lotuswurzeln besonders liebte, sondern weil, wie sie Yolanda einmal erklärt hatte, im Chinesischen das Wort für Lotuswurzel und der Ausdruck »Jedes Jahr mehr erreichen« fast gleich klangen und man darum glaubte, es sei hilfreich, bei Geldangelegenheiten viel Lotuswurzel zu essen. Yolanda hatte sich freilich längst an die Eßgewohnheiten ihrer Arbeitgeberin gewöhnt, die sich weniger am Geschmack orientierten, als an sonderbaren Gleichklangvorschriften »klingt wie« – deshalb aß Miss Lee auch jede Menge Langkornreis, weil das Wort dafür klang wie »langes Leben« –, und sie hatte sich auch daran gewöhnt, daß man glückbringende Speisen auswählte, wie zum Beispiel Bok Choy , und unglückbringende, wie zum Beispiel Mais, vermied.
So viele Regeln! dachte Yolanda und kehrte zu ihren Töpfen zurück. Für sich selbst war sie da ganz anderer Meinung – wenn man Appetit auf Tamales hatte, dann aß man eben Tamales .
Charlotte benutzte die Fernbedienung, um die schwere Garagentür zu öffnen. Der Motor knirschte, und an der Decke gingen die Lampen an. Sie glitt hinter das Steuer ihrer Corvette – ein Geschenk, das sie sich im Vorjahr selbst gemacht hatte, als sie acht- unddreißig wurde – und ließ den Wagen an. Während sie die Handbremse löste, sah sie in das tosende Unwetter hinaus, das dabei war, ihre Einfahrt in einen Fluß zu verwandeln.
Überschwemmungswarnung für die tiefergelegenen Wüstenregionen …
Charlotte betrachtete den strömenden Regen. Sie fuhr immer mit der Corvette, sie war ihr Lieblingsauto. Jetzt aber fühlte sie sich in dem kleinen Wagen verwundbar und der Willkür der Elemente ausgeliefert.
Sie warf einen raschen Blick auf das andere Auto in der Garage, einen gewaltigen Chevy Suburban, den sie für seltene Streifzüge in den Bergen gekauft hatte, wenn ihr der Druck im Labor einmal wirklich zuviel wurde, und faßte einen schnellen Entschluß. Sie sprang aus der Corvette, lief um den Geländewagen herum und kletterte auf den Fahrersitz. Die Schlüssel steckten hinter der Sonnenblende, damit Pedro ab und zu den Motor anlassen, die Batterie aufladen und den onyxschwarzen Lack waschen und wachsen konnte.
In dem großen Auto kam sich Charlotte merkwürdig vor. Sie wußte überhaupt nicht mehr, wann sie es zuletzt gefahren hatte. Sie drehte den Schlüssel und hörte erfreut, wie die Maschine sofort ansprang – Pedro war ein äußerst zuverlässiger Mann. Zuversichtlich griff sie nach dem Lenkrad. Dieser Koloß mit seinen Mammuträdern würde sie selbst über die überschwemmteste Kreuzung, die Palm Springs aufzubieten hatte, sicher hinüberbringen.
Die Scheinwerfer verwandelten den
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