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Das Haus der Madame Rose

Das Haus der Madame Rose

Titel: Das Haus der Madame Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatiana de Rosnay
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merkwürdigen Stunden will ich nicht aussehen wie eine Lumpensammlerin. Ich wasche mich, so gut es geht, mit dem Wasser, das Gilbert mir bringt, und benutze das Parfüm, das ich noch habe; die Baronne de Vresse schenkte es mir letztes Jahr, als Alexandrine und ich sie in ihrem Haus in der Rue Taranne abholten, um im Warenhaus Bon Marché einkaufen zu gehen. Ich habe gehört, die Rue Taranne sei im Moment nicht gefährdet. Doch wie lange noch? Werden sie es wagen, diese Pracht zu zerstören? Sie in einem Zug auszumerzen?
    Meine Augen, die Du so liebtest, sind noch immer dieselben. Blau oder grün, je nach Wetter. Mein Haar ist nun grau, mit vereinzelten Goldfäden. Ich habe nie daran gedacht, es zu färben, wie es die Kaiserin tut und was ich so ordinär finde.
    Zehn Jahre sind eine lange Zeit, nicht wahr, Armand? Dass ich Dir diesen Brief schreibe, bringt Dich mir beträchtlich nahe. Ich kann fast spüren, wie Du mir beim Schreiben über die Schulter blickst, spüre Deinen Atem an meinem Hals. Ich war lange nicht mehr bei Dir auf dem Friedhof. Es schmerzt mich, Dein Grab zu sehen, Deinen und Maman Odettes Namen in den Stein graviert, doch noch herzzerreißender ist es, den Namen unseres Sohnes Baptiste direkt unter Deinem zu sehen.
    Hier! Ich habe seinen Namen nun zum ersten Mal in diesem Brief erwähnt. Baptiste Bazelet. Oh, welch ein Schmerz! Welch ein schrecklicher Schmerz. Ich kann diesen Schmerz nicht zulassen, Armand, ich muss gegen ihn ankämpfen. Ich kann mich ihm nicht ergeben. Ansonsten würde ich darin ertrinken, würde alle Kraft verlieren.
    An Deinem Todestag hattest Du einen letzten lichten Augenblick. Oben in unserem Schlafzimmer sagtest Du, meine Hand in Deiner: »Gib Acht auf unser Haus, Rose. Lass nicht zu, dass dieser Baron, dieser Kaiser …« Dann überzogen sich Deine Augen wieder mit diesem befremdeten Schleier, und Du sahst mich an, als würdest Du mich gar nicht kennen. Aber ich hatte genug gehört. Ich wusste ganz genau, was Du von mir erwartetest. Während Du da lagst und alles Leben aus Deinem Leib wich und Violette hinter mir schluchzte, war ich mir der Aufgabe bewusst, die Du mir übertragen hattest. Ich musste sie in Ehren halten. Ich habe es Dir versprochen. Zehn Jahre danach, Liebster, ist die Zeit nun gekommen, und ich habe niemals gewankt.
    Am Tag, als Du starbst, am 14. Januar, erfuhren wir, dass der Kaiser in der Rue Le Peletier vor der alten Oper ein brutales Attentat überlebt hatte. Drei Bomben wurden geworfen, ungefähr zweihundert Menschen wurden verletzt, zwölf verloren ihr Leben. Pferden wurden Gliedmaßen weggerissen, in der ganzen Straße barsten die Fensterscheiben. Die königliche Kutsche kippte um, der Kaiser und die Kaiserin entkamen dem Tod nur um Haaresbreite. Später las ich, dass die Robe der Kaiserin getränkt war mit dem Blut eines Todesopfers, dennoch ging sie in die Oper, um ihren Untertanen zu zeigen, dass sie keine Angst hatte.
    Dieses Attentat war mir gleichgültig, genauso gleichgültig wie der Italiener, der es begangen hatte, Felice Orsini (er wurde später guillotiniert), und seine Motive. Du entglittst mir, nichts anderes kümmerte mich.
    Friedlich und ohne Schmerzen gingst Du im Mahagonibett unseres Schlafzimmers von dannen. Du wirktest erleichtert, diese Welt und alles, was dazugehörte und was Du nicht mehr verstehen konntest, verlassen zu dürfen. In den vergangenen Jahren hatte ich miterlebt, wie Du Dich allmählich in die Krankheit zurückzogst, die sich in den Winkeln Deines Gehirns eingenistet hatte und über die sich die Ärzte nur zurückhaltend äußerten. Man konnte Deine Krankheit nicht sehen oder mit irgendetwas messen. Ich glaube, sie hat nicht einmal einen Namen. Keine Arznei konnte sie kurieren.
    Gegen Ende konntest Du das Tageslicht nicht mehr ertragen. Du batest Germaine, ab Mittag die Fensterläden im Salon zu schließen. Manchmal fuhrst Du in Deinem Sessel auf, so dass ich erschrak, Du spitztest die Ohren, horchtest und sagtest: »Hast du das gehört, Rose?« Ich hatte gar nichts gehört, keine Stimme, kein Hundegebell, kein Türenschlagen, aber ich gewöhnte mir an, Ja zu sagen: Ja, ich habe es auch gehört. Und wenn Deine Hände ganz aufgeregt zu zucken begannen und Du immer wieder sagtest, die Kaiserin käme zum Tee und wir müssten Germaine auftragen, frisches Obst zu besorgen, auch da gewöhnte ich mir an, zu nicken und Dir immer wieder tröstend zu versichern, dass selbstverständlich alles erledigt werden würde. Die

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