Das Haus der Madame Rose
ob ich noch eine Weile bei ihr im Laden bleiben und zusehen wolle, wie sie arbeitet. Ihr Angebot überraschte mich, mehr noch aber schmeichelte mir, dass diese junge Frau meine Gesellschaft offenbar anregend fand. Sie holte mir einen Stuhl, ich setzte mich an die Ladentheke und nahm meine Stickerei zur Hand – mit der ich, ehrlich gesagt, Armand, nicht sehr weit kam, denn was ich an diesem ersten Tag sah und hörte, war einfach faszinierend.
Der Laden war, wie ich schon sagte, überaus reizvoll und heiter, eine richtige Augenweide. Ich fühlte mich wohl in diesen rosa Wänden und inmitten von Blumensträußen. Alexandrine hatte einen Lehrling, einen Jungen namens Blaise, der nicht viel sprach, aber dafür fleißig arbeitete.
Zu meinem Erstaunen gibt es in einem Blumenladen viel zu tun. Blumen verschenkt man ja aus vielen Gründen und zu vielen Gelegenheiten. Den ganzen Nachmittag über beobachtete ich, wie Alexandrine geschickt Iris, Tulpen, Lilien band. Mit sicherer, schneller Hand. Sie trug eine lange schwarze Schürze, die ihr eine strenge Eleganz verlieh. Blaise stand immer hinter ihr und beobachtete jede Bewegung. Die beiden sprachen kaum miteinander. Immer wieder zog er los, um in der Nachbarschaft einen Strauß auszuliefern.
Es gab keinen einzigen müßigen Augenblick. Erst kam ein sehr schneidiger Herr mit lockigem Haar und wehendem schwarzem Umhang, er wollte eine Gardenia als Ansteckblume für den Opernbesuch am Abend. Dann bestellte eine Dame Blumen für eine Taufe, eine andere (die mich in ihren schwarzen Kleidern und mit ihrem blassen, müden Gesicht zu Tränen rührte) für eine Trauerfeier. Der junge Priester, der mit Père Levasque zusammenarbeitet, suchte Lilien aus für die Wiedereröffnung der Kirche nach den zweijährigen Renovierungsarbeiten. Madame Paccard kam vorbei und gab ihre übliche wöchentliche Bestellung auf, denn sie schmückte die Zimmer im Hotel Belfort für jeden neuen Gast mit frischen Schnittblumen. Monsieur Helder wollte spezielle Blumengebinde für eine Überraschungs-Geburtstagsfeier in seinem Restaurant in der Rue d’Erfurth.
Jedem neuen Kunden hörte Alexandrine aufmerksam zu, sie machte Vorschläge, hörte wieder zu, zeigte die eine oder andere Blume vor, dachte sich einen Strauß aus, beschrieb ihn und hörte wieder zu. Sie ließ sich Zeit, und wenn sich eine Schlange bildete, holte sie schnell einen weiteren Stuhl, bot Konfekt oder eine Tasse Tee an, und der Kunde wartete geduldig neben mir. Kein Wunder lief dieser neue Laden so gut, dachte ich, verglichen mit dem Geschäft der altmodischen, trübseligen Madame Collévillé.
Ich hatte so viele Fragen, die ich Alexandrine mit brennender Neugier stellen wollte, während sie durch den Laden hetzte. Woher bezog sie die Blumen? Wie wählte sie sie aus? Warum war sie Floristin geworden? Aber sie war immer so in Eile, dass ich nicht zu Wort kam. Ich konnte ihr nur zusehen und die Hände untätig im Schoß falten, während sie weiter ihr Tagwerk verrichtete.
Am nächsten Morgen saß ich wieder im Laden. Ich hatte schüchtern ans Fenster geklopft, Alexandrine hatte genickt und mir bedeutet, hereinzukommen. »Hier, Ihr Stuhl wartet schon, Madame Rose!«, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln, und ihre Stimme hörte sich weniger kratzig, ja in gewisser Weise fast bezaubernd an. Die ganze Nacht lang war mir der Blumenladen nicht aus dem Kopf gegangen, Armand. Und kaum war ich wach geworden, hatte ich mich danach gesehnt, wieder zu ihr hinunterzugehen. Ich begriff langsam ihren Tagesablauf. Nachdem sie am Morgen mit Blaise frische Blumen auf dem Markt geholt hatte, zeigte sie mir göttliche dunkelrote Rosen.
»Sehen Sie, Madame Rose, die sind so schön, dass sie im Nu weggehen. Sie heißen Rosa Amadis , niemand kann ihnen widerstehen.«
Und sie hatte recht, niemand konnte diesen üppigen Rosen, ihrem berauschenden Duft, ihrer intensiven Farbe und ihren samtigen Blütenblättern widerstehen. Am Mittag war keine einzige Rosa Amadis mehr übrig. Alle verkauft.
»Die Leute lieben Rosen«, erklärte mir Alexandrine, während sie Sträuße für eilige Kunden band, die diese auf dem Weg nach Hause oder zu einer Einladung fertig erstehen konnten. »Die Rose ist die Königin der Blumen. Wenn man eine Rose schenkt, liegt man nie falsch.«
Während wir uns unterhielten, kreierte sie ein paar Sträuße. Ein jeder unterschied sich komplett vom anderen in der Wahl der Blumen, des grünen Laubs und der Satinbänder. Bei Alexandrine
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