Das Haus der Madame Rose
Gehalt. Dort, in der Nähe des Louvre, fand sie auch eine Unterkunft – große, helle Räumlichkeiten. Natürlich würde sie die Rue Childebert vermissen, sagte sie, aber sie war eine moderne, fortschrittliche junge Frau und fand es richtig, was der Präfekt für unsere Stadt tat. Ihr gefiel auch der Bois de Boulogne in der Nähe des Château de la Muette und der neue künstliche See. (Ich finde diese Anlage ordinär. Du würdest mir zustimmen, wenn Du sie sehen könntest. Wie könnte dieser hügelige Park mit seinen brandneu gepflanzten Bäumen jemals eine Konkurrenz für unseren Jardin du Luxembourg mit der altehrwürdigen Pracht der Medici sein?)
Vor acht Jahren hatte sich Alexandrine nicht einmal an der Eingemeindung der Vororte gestört – unser ehemaliges 11. Arrondissement ist nun das 6. Dir hätte das auch missgefallen. Paris ist ein Moloch geworden, überallhin streckt es seine Tentakel aus! Es gibt jetzt zwanzig Arrondissements, und über Nacht bekam Paris vierhunderttausend neue Einwohner. Unsere Stadt hat Passy, Auteuil, Batignolles-Monceau, Vaugirard, Grenelle, Montmartre verschlungen, und Orte, wo ich noch nie gewesen war, gehören nun zu Paris – Belleville, La Villette, Bercy, Charonne. Ich finde das erschreckend und verwirrend.
Trotz unserer Meinungsverschiedenheiten war es immer interessant, sich mit Alexandrine zu unterhalten. Sicher, sie war halsstarrig und manchmal verließ sie mich wutschnaubend, aber sie kam immer wieder zurück und bat mich um Entschuldigung. Ich habe sie übermäßig lieb gewonnen. Ja, sie war mir wie eine zweite Tochter, eine warmherzige, gescheite, kultivierte Tochter. Findest Du mich ungerecht? Vermutlich schon. Aber Du musst verstehen, dass sich Violette mit der Zeit weit von mir entfernt hat, sowohl geografisch als auch gefühlsmäßig. Dass Alexandrine im selben Jahr wie Baptiste geboren ist, 1839, ist ein weiterer Grund, warum sie mir so teuer ist. Ich habe ihr von unserem Sohn erzählt, aber nur ein Mal. Es war zu schmerzlich, diese Worte auszusprechen.
Manchmal wundert es mich, dass sie keinen Mann hat. Ist es wegen ihres hitzigen Temperaments? Dass sie immer genau das sagt, was sie denkt, und es für sie nie in Frage kommen würde, sich einem Mann unterzuordnen? Vielleicht. Sie vertraute mir an, dass eine Familie und Kinder ihr nicht fehlten. Sie gab sogar zu, dass es das Letzte für sie wäre, sich um einen Ehemann zu kümmern. Mir ist eine solche Haltung unglaublich fremd, ich finde sie fast schockierend. Aber Alexandrine ist ja auch nicht wie die anderen Menschen, die ich kenne. Über ihre Kindheit in Montrouge hat sie nie viel erzählt. Ihr Vater trank und war grob zu ihr. Ihre Mutter starb, als sie noch klein war. Und so bin ich also in gewisser Weise ihre »Maman«.
Ich erwähnte bereits weiter oben , dass mir zwei Menschen nach Deinem Tod das Leben retteten. Zweifellos hat Dich diese Offenbarung erstaunt, und Du hast Dich wahrscheinlich gefragt, was ich damit meinte. Ich werde es Dir jetzt erklären. (Nur noch eine kleine Zwischenbemerkung: Gilbert schnarcht außergewöhnlich laut. Ich habe mich in meinem Kellerversteck eingemummelt und es mir mit einem heißen Ziegelstein auf dem Schoß so gemütlich wie nur irgend möglich gemacht, Gilbert schläft oben am Herd. Doch ich höre ihn trotzdem, kannst Du Dir das vorstellen? Ich habe lange Zeit keinen Mann mehr schnarchen gehört. Seit Deinem Tod. Ein merkwürdig tröstliches Geräusch.)
Erinnerst Du Dich an die rosa Karte, die eines Morgens eintraf? Die rosa Karte, die nach Rosen duftete. Ich ging zum ersten Mal zu Alexandrine hinunter, sie erwartete mich in ihrem kleinen Wohnzimmer hinter dem Laden, nicht weit von hier, wo ich nun sitze und Dir schreibe.
Sie hatte Waffeln und eine köstliche Biskuittorte mit Zitronencreme gebacken, dazu gab es Erdbeeren mit Schlagsahne. Und den besten Tee, den ich je getrunken habe, einen Rauchtee. Sie sagte, es sei Lapsang Souchong, er käme aus China und sie kaufe ihn bei Mariage Frères , einem neuen, schicken Teeladen im Marais.
Anfangs war ich nervös, unsere erste Begegnung war ja, wie Du Dich erinnerst, eher unglücklich verlaufen, aber sie war ganz reizend zu mir.
»Mögen Sie Blumen, Madame Rose?«, fragte sie.
Natürlich fand ich Blumen schön, musste aber zugeben, dass ich nichts von ihnen verstand.
»Na, das ist doch schon mal ein Anfang!«, lachte sie. »Wie könnten Ihnen, bei Ihrem Namen, Blumen auch nicht gefallen?«
Nach dem Tee fragte sie mich,
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