Das Haus Der Schwestern
Lächeln.
»Es bedeutet mir viel, daß du das sagst, Adeline. Danke.«
Frances machte ein paar nervöse Schritte zum Fenster hin und wieder zurück. »Vielleicht würde es dir helfen, wenn ich einmal mit John rede«, meinte sie.
Victoria lächelte erneut, aber diesmal war ihr Lächeln bitter. »Du meinst es jetzt vielleicht gut, Frances, aber es ist zu spät. Daß es mir schlecht geht in meiner Ehe, weißt du seit Jahren. Es hat dich nicht im geringsten gekümmert. Jetzt auf einmal kommt dir der Einfall, du könntest mir helfen. Und wenn ich richtig vermute, liegt das keineswegs daran, daß ich dir plötzlich etwas bedeute. Du hast Angst um den Ruf der Familie, wenn meine Scheidung bekannt wird. Deshalb willst du dich jetzt in die Vermittlerrolle werfen.«
»Erlaube mal«, fuhr Frances auf, aber sofort mischte sich Adeline ein.
»Schluß! Keine Streitereien mehr! Das führt zu nichts. Victoria, Frances hat es gut gemeint. Wir beide wollen Ihr Bestes! «
» Du schon, Adeline«, murmelte Victoria, aber dann verstummte sie. Adelines Wort galt noch immer im Haus. Sie hatte die Mädchen großgezogen, sie war früher dazwischengegangen, wenn sie sich um eine Puppe stritten, sie ging heute dazwischen, wenn es um andere Probleme ging.
»Es ist schlimm, aber es ist nicht das Ende der Welt«, sagte sie.
»Doch, das ist es«, erklang Charles’ Stimme von der Tür her, »genau das ist es. Das Ende der Welt.«
Alle fuhren zusammen. Niemand hatte Charles kommen gehört. Er stand in der Tür in seinem dunklen Sonntagsanzug, der ihm zu weit geworden war in den letzten Jahren. Auch der Kragen seines blütenweißen Hemdes schloß sich nicht mehr fest um seinen dünnen, faltigen Hals.
»Vater!« sagte Victoria. Sie stand auf, und einen Moment lang schien es, als wolle sie in seine Arme stürzen, aber irgend etwas hielt sie zurück und ließ sie unsicher stehenbleiben.
»Sie haben vielleicht nicht alles gehört, Sir«, sagte Adeline. »Sie sollten die genauen Umstände kennen, ehe Sie urteilen.«
Charles’ Miene spiegelte Verwirrung. »Was meinen Sie, Adeline? «
»Ich werde dir alles erklären, Vater«, sagte Victoria tonlos.
Frances begriff als erste, daß offenbar von zwei verschiedenen Dingen gesprochen wurde.
»Vater, was ist geschehen?« fragte sie, hellhörig geworden.
»Der Premierminister hat es eben bekanntgegeben«, sagte Charles. Die Blässe seines Gesichtes vertiefte sich. »Wir befinden uns im Krieg mit Deutschland.«
Sie hatten vollkommen vergessen, das Radio wieder einzuschalten. Charles hatte sich vor den Apparat im Wohnzimmer gesetzt. Das Ultimatum war abgelaufen. Es hatte kein Einlenken von deutscher Seite gegeben.
In Victoria machte sich die Erkenntnis breit, daß ihr Vater nicht sie gemeint hatte, als er vom Ende der Welt sprach; ein Anflug von Erleichterung in ihren Zügen verriet es. Adeline stand wie erstarrt vor Schreck.
Frances flüsterte: »O nein!«
»Gott schütze England«, sagte Charles.
Victoria sagte, sie werde keinen Fuß mehr in Johns Haus setzen, und zog am Abend gleich wieder in ihr altes Zimmer in Westhill. Von John erfolgte den ganzen Tag über kein Anruf, geschweige denn, daß er selbst erschienen wäre.
»Ich könnte mich auch ins Wasser gestürzt haben«, sagte Victoria bitter, »aber er macht sich keinerlei Gedanken um mich. Er versucht überhaupt nicht, herauszufinden, wo ich bin! «
»Ihm ist doch klar, daß du hier bist«, sagte Frances, »du bist immer nach Hause gelaufen, wenn es irgendein Problem gab. Warum solltest du diesmal ins Wasser gehen?«
Victoria sah ihre Schwester verletzt an. »Manchmal möchte ich schon wissen, warum du mich seit jeher gehaßt hast.«
Frances schüttelte den Kopf. »Ich habe dich nicht gehaßt. Warum mußt du so dramatisch sein? Wir sind nur einfach sehr verschieden, das ist das Problem. Wir begreifen einander nicht.«
»Du hast es mir übelgenommen, daß ich John geheiratet habe. Obwohl du ihn selbst nicht wolltest — eine andere sollte ihn auch nicht haben.«
»Unsinn!«
»Du kannst ja jetzt triumphieren. Ich habe John verloren. Vor vielen Jahren schon. Ich bin gescheitert mit ihm.«
»Nun bade nicht im Selbstmitleid«, sagte Frances gereizt. »Geh in dein Zimmer, leg dich ins Bett. Du siehst hundemüde aus!« Sie drehte sich um und ließ Victoria stehen.
In gewisser Weise hatte Victoria einen günstigen Tag für das Überbringen ihrer Hiobsbotschaft gewählt, denn im allgemeinen Wirbel durch den Kriegsausbruch ging das
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