Das Haus Der Schwestern
Scheidungsdrama zunächst scheinbar unter. Charles hatte nur müde: »Ach, Kind!« gesagt und sich dann wieder an den Radioapparat im Wohnzimmer verzogen. Aber die Angelegenheit ging ihm näher, als er es sich zunächst hatte anmerken lassen. Als Frances in der darauffolgenden Nacht noch einmal hinunterging, um sich ein Glas Wasser zu holen, fand sie ihren Vater im Wohnzimmer sitzend vor. Er tat nichts, schien nur dem überlauten Ticken der Standuhr zu lauschen.
Frances trat leise näher. »Du solltest schlafen gehen, Vater. Es ist nicht gut, zuviel zu grübeln.«
Er blickte auf. »In meinem Alter braucht man nicht mehr so viel Schlaf.«
»Es ist nicht wie im letzten Krieg, Vater. Wir brauchen niemanden von uns hinüberzuschicken. Das macht es leichter.«
»Die Nazis sind eine große Gefahr. Sie wollen die ganze Welt. Und die Deutschen sind stark, Frances. Sie haben eine außergewöhnliche Entschlossenheit, wenn sie siegen wollen. Wenn sie diesen Krieg gewinnen, wird es auf der Erde nicht mehr lebenswert sein.«
»Aber nichts ändert sich, indem du hier sitzt und dir die Nacht um die Ohren schlägst. Versuche, Hitler für ein paar Stunden zu vergessen.«
»Um ehrlich zu sein«, sagte Charles, »im Moment ist es eher deine Schwester, die mich nicht schlafen läßt.«
» Sie schläft aber friedlich.« »Warum muß sie mir das antun? Uns allen. Eine Scheidung! Zum ersten Mal habe ich heute gedacht, daß es gut ist, daß eure Mutter nicht mehr am Leben ist. Es hätte ihr das Herz gebrochen! «
Frances fragte sich im stillen, wie es möglich war, daß ihr Vater die Frau, mit der er sein halbes Leben verbracht hatte und die er über den Tod hinaus abgöttisch liebte, so falsch einschätzen konnte. Maureen war kein Mensch gewesen, dem das Herz brach, aus welchem Grund auch immer. Mit Verzweiflung hätte sie sich nicht lange aufgehalten. Sie hätte versucht, das Beste aus der Situation zu machen.
Obwohl sie wenig Lust hatte, für Victoria ein gutes Wort einzulegen, fühlte sich Frances verpflichtet, ihrem Vater klarzumachen, daß Victoria tatsächlich eine lange Leidenszeit hinter sich hatte und daß man anerkennen mußte, wie sie versucht hatte, ihrer Familie diese Tragödie zu ersparen.
»John ist wirklich schlecht mit ihr umgegangen«, sagte sie, »sie hat sich ziemlich gequält in den letzten zwanzig Jahren.«
Unwillkürlich ballte Charles seine linke Hand zur Faust, diese dünne Altmännerhand mit dem hervortretenden Adergeflecht und den vielen braunen Flecken.
»Ich weiß. Ich weiß das doch. Sie kam ja alle paar Tage hierher und weinte sich bei mir aus. Glaube nicht, das hätte mich nicht berührt. Manchmal hat es mir fast das Herz zerrissen, sie so elend zu sehen. Aber«, er neigte sich vor, seine Stimme bekam einen harten, kalten Klang, und er sprach sehr langsam und akzentuiert, »man hält durch! Verstehst du? Wenn man etwas angefangen hat, dann hält man es durch. Man drückt sich nicht. Man bleibt bei dem, wofür man sich einmal entschieden hat.«
»Die Umstände können sich ändern. Niemand ist verpflichtet, ein Leben lang zu leiden.«
Charles lehnte sich wieder zurück. Seine Hand öffnete sich. »Du kannst es nicht verstehen. Deine ganze Generation kann es vielleicht nicht verstehen. Wir leben in einer Zeit, in der alle Werte verfallen. Es ist sehr traurig, das miterleben zu müssen. Sieh dir nur das Königshaus an! Der leichtsinnige Edward — gibt den Thron auf, um diese zweifelhafte Dame aus Amerika zu heiraten . . . Seine Pflicht, seine Verantwortung in diesem Leben war es, König von England zu sein. Davor läuft man nicht davon.«
»Du hast auf eine Menge Privilegien verzichtet, um Mutter heiraten zu können. Du müßtest es verstehen.«
»Ich habe nicht ein ganzes Land im Stich gelassen. Niemanden, der mich brauchte.«
»Es geht um Victoria«, sagte Frances, »und Victoria läßt auch niemanden im Stich. Schon gar nicht John, für den sie seit Jahren nur Luft ist. Vater«, sie legte ihre Hand über seine, » ich habe keinen Grund, Victoria in Schutz zu nehmen, das weißt du. Wir haben einander nie gemocht. Aber sie hat das Recht auf ein wenig Glück im Leben, und mit John . . .«
Er unterbrach sie grob. »Recht? Das ist es ja, was ich euch vorwerfe! Dir und deiner Generation. Ihr werft ständig mit dem Begriff Recht um euch. Ihr habt hierauf ein Recht und darauf, und wenn man es euch nicht zugesteht, dann nehmt ihr es euch, notfalls mit Gewalt. Worauf gründest du denn alle diese
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