Das Haus Der Schwestern
dem Frankfurter Rotlichtmilieu einließ, hat meiner Ansicht nach am wenigsten etwas mit irgendwelchen sexuellen Wünschen zu tun. Dieses Mädchen war sein Ventil. Sie gab seinem Leben, das er als erbärmlich empfand, einen aufregenden Anstrich. Sie gab ihm die Kraft, sich Tag für Tag aufs neue bei den guten Bürgern daheim einzuschleimen. Sie gab ihm die Gewiß-heit, daß er ein anderer war, daß er nur ein Spiel spielte.« Barbara hielt inne. Ihre blassen Wangen hatten Farbe bekommen. »Verstehst du?«
Auf die eine Weise verstand er, auf die andere nicht. Was immer dieses Hineintauchen in fremde Schicksale ihr bedeutete, er sah nicht ein, weshalb das einen Widerspruch bilden sollte zu allem, was er sich ersehnte.
»Ich finde, du interpretierst zuviel in diese Geschichte hinein«, sagte er, »bei Kornblum hast du doch lediglich einen Kleinbürger vor dir, der vermutlich mit ein paar perversen Vorlieben herumläuft, die ihm seine Ehefrau nicht erfüllen will oder kann. Also rennt er zu einer Hure und hat das Pech, daß diese eines Nachts von einem Freier in Stücke gehackt wird und er zuerst in Verdacht, später in die Schlagzeilen gerät. Seine politische Karriere und seine Ehe sind ruiniert. Das ist alles.«
»Es steht eine ganze Lebensgeschichte dahinter.«
Er starrte sie an. Unvermittelt sagte er: »Ich möchte Kinder haben, ehe es zu spät ist.«
In einer Geste der Hilflosigkeit und Resignation strich sie sich mit beiden Händen über das Gesicht. »Ich weiß«, sagte sie seufzend.
Donnerstag, 26. Dezember 1996
Laura wachte um sechs Uhr morgens auf und wußte sofort, daß sie nicht wieder würde einschlafen können. Der Regen pladderte laut gegen die Scheiben ihres Zimmerfensters. Laura überlegte einen Moment, ob sie aufstehen und sich einen Tee machen sollte, denn das hätte ihr ein wenig von ihrem Seelenfrieden zurückgegeben, aber dann dachte sie, daß Marjorie davon womöglich wach werden würde. Sie hatte keine Lust, schon jetzt das mißmutige Gesicht ihrer Schwester zu sehen und das dauernde Genörgele über sich ergehen zu lassen. Also würde sie liegenbleiben. Seufzend drehte sie sich auf die andere Seite.
Sie erinnerte sich, von Frances geträumt zu haben, wenngleich sie nicht mehr hätte sagen können, worum es in dem Traum gegangen war. Zurückgeblieben war — wie immer, wenn es um Frances ging — ein diffuses Gefühl von Traurigkeit und Ärger. Laura konnte an Frances nicht denken, ohne daß diese Gedanken von Gereiztheit begleitet wurden. Von Gereiztheit und Sehnsucht. Nie würde sie aufhören, sich die Jahre zurückzuwünschen, die sie gemeinsam verbracht hatten, und nie würde sie jenen tief in ihrem Innern glimmenden Zorn loswerden, mit dem sie ihrer hoffnungslosen Bemühungen um Frances und deren kühler Reaktion darauf gedachte. Sie hatte um Anerkennung, Zuneigung, Liebe gebuhlt, und von allem etwas bekommen, jedoch stets um jene feine Nuance zu wenig, die den Schmerz verursachte. Frances war auf sie zugegangen, um dann an irgendeinem Punkt jäh stehenzubleiben und sich nicht weiter voranzubewegen. Eine echte Freundschaft hatte sie nicht zugelassen. Schon gar nicht hatte sie die Mutterrolle übernehmen wollen, die sich Laura so sehnlich von ihr gewünscht hatte. Letztendlich war sie die Arbeitgeberin gewesen, Laura die Angestellte.
Irgendwann hatte Laura begriffen, daß sie daran nichts würde ändern können, und um so mehr hatte sie darum gekämpft, sich unentbehrlich zu machen. Frances sollte nie einen Grund finden, sie fortzuschicken. Das hatte sie dann auch nicht getan, aber auch nie war ein »Niemand kann das besser als du, Laura« über ihre Lippen gekommen. Laura konnte anstellen, was sie wollte. Sie bekam nicht, was sie so heftig ersehnte.
Ihr fiel plötzlich eine Begebenheit ein, aus den späten siebziger Jahren. Ein stiller, kalter, nebliger Novembertag. Sie hatte sich im Garten von Westhill zu schaffen gemacht, hatte Rosenstöcke ausgeputzt, die Pflanzen mit Tannenzweigen gegen die bevorstehenden Frostnächte abgedeckt. Sie konnte ihren Atem sehen, aber ihr war warm vom Arbeiten, und ihre Wangen glühten. Sie liebte den Garten, hegte und pflegte ihn unermüdlich und wußte, daß sie auf das Ergebnis stolz sein konnte.
An jenem Tag war sie so in ihre Arbeit versunken gewesen, daß sie Frances gar nicht hatte herankommen hören. Sie schrak zusammen, als sie hinter sich ihre Stimme vernahm.
»Selbst im November noch ein schöner Garten«, sagte Frances und ließ ihren
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