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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Park hinabführten. Warmer Blütenduft strömte in den Raum, von dem Frances wußte, daß er meist eiskalt und im Winter trotz zweier riesiger Kamine kaum beheizbar war.
    An langen Tischen saßen an die hundert Gäste, die Herren in schwarzen Anzügen oder Ausgehuniformen, die Damen in langen, bunten Seidenkleidern, behängt mit Schmuck. Auf den Tischen lagen schneeweiße Damastdecken, zerbrechlich feines Porzellan war gedeckt; Johns Mutter hatte es, wie Frances sich erinnerte, als Mitgift in die Ehe gebracht und war immer sehr stolz darauf gewesen. Kerzen in hohen, silbernen Leuchtern brannten. In einer Ecke hatten sich die Musiker gruppiert und spielten fröhliche, dezente Weisen. Auf lautlosen Sohlen eilten Dienstboten hin und her, trugen leere Teller fort und neue Speisen auf und schenkten Wein nach.
    Es war ein Bild von beinahe schmerzhafter Intensität. Und wie ein Gemälde kam es Frances auch tatsächlich vor: eine Darstellung von etwas, das nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte. Es war, als bewegten sich alle Personen an unsichtbaren Fäden, als habe jemand im Hintergrund sie arrangiert und lasse nun eine Szene ablaufen wie auf einer Bühne. Das Stück hieß: Hochzeit.
    Die Hauptdarsteller waren John Leigh und Victoria Gray.
    Sie saßen an der längsten Tafel, die von einer Breitseite des Saales zur anderen reichte. Sie thronten genau in der Mitte, und vor ihnen stand ein gewaltiges Blumenbukett. John trug eine dunkle Uniform aus der Zeit seiner kurzen militärischen Ausbildung; sie hatte einen hohen, steifen Kragen und war geschmückt mit ein paar Abzeichen seines Regiments und verschiedener Vereinigungen, denen er angehörte. Victoria war bekleidet mit einem cremefarbenen Brautkleid und einem Schleier aus weißer Spitze, der mit einem Blütengesteck in ihrem Haar befestigt war. Sie sah bildschön aus und war während des vergangenen Jahres auf geheimnisvolle Weise erwachsen geworden. Als Frances fortging, war sie gerade noch vierzehn gewesen, nun stand sie kurz vor ihrem sechzehnten Geburtstag. Das fünfzehnte Jahr schien sie genutzt zu haben, sich von Matrosen-kleidchen, Stirnfransen und unentwegtem Gekicher zu befreien. Ihr Anblick erregte Übelkeit in Frances, und unwillkürlich preßte sie die Hand auf den Mund.
    Neben John saßen Maureen und Charles, neben Victoria Johns Mutter und Großmutter Kate. Sie alle waren in Gespräche vertieft. Es war schließlich Maureen, die ihre Tochter als erste entdeckte, als sie zufällig aufblickte. Sie erstarrte, und Frances konnte sehen, wie ihr Mund ihren Namen formte.
    »Frances!«
    Jetzt schauten auch Charles und John auf. John wurde blaß. Victoria zuckte zusammen. Kate, die mit einem Herrn zu ihrer Rechten plauderte, hielt inne. Und auf eigentümliche Weise setzte sich die Irritation, die bei den Hauptpersonen ihren Anfang genommen hatte, nach und nach durch alle Reihen fort. Schließlich verstummten alle Gäste, und endlich hörten sogar die Musiker, völlig verunsichert, auf zu spielen. Eine Geige klang noch einsam mit ein paar Tönen nach, dann senkte sich Stille über den Saal, und an die hundert Augenpaare wandten sich Frances zu.
    Sie stand da in ihrem blauen, zerknitterten Kleid, mit ihren vom schnellen Laufen und der Wärme des Tages geröteten Wangen, und begriff ganz langsam - als wolle sich etwas in ihr gegen den jähen Schock wappnen -, was geschehen war.
    Sie war in die Hochzeitsfeier ihrer Schwester geplatzt. Ihre Schwester und John Leigh hatten geheiratet. Victoria sah aus wie eine kleine Prinzessin, hatte Blüten im Haar und schaute drein wie ein Kalb, wenn es donnerte.
    Niemand hatte ihr etwas gesagt. Niemand hatte es für der Mühe wert befunden, sie zu unterrichten. Wieder schwappte Übelkeit in ihr hoch.
    Ich muß fort, dachte sie panisch, nach Hause, nach London, irgendwohin ...
    Aber bei allem Entsetzen arbeitete noch ein Rest von kühler Vernunft in ihr, und der sagte ihr, daß sie blamiert sein würde bis ans Ende ihrer Tage, wenn sie sich jetzt umdrehte und davonrannte. Dann begriffe auch der letzte, wie ihr zumute war. Unter den Anwesenden — deren Gesichter ihr vor den Augen verschwammen — gab es mit Sicherheit genügend Nachbarn, die genau wußten, daß John Leigh und Frances Gray einander praktisch versprochen gewesen waren. Sie lauerten darauf, wie Frances mit der Demütigung, daß er sich am Ende für ihre Schwester entschieden hatte, fertig werden würde. Den Triumph, sie aufgelöst das Weite suchen zu sehen, wollte sie

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