Das Haus Der Schwestern
auf den Beinen.«
Sie wandte sich zum Gehen. Endlich fing sie an, einzelne Gesichter wahrzunehmen. Die halbe Grafschaft hatte sich versammelt. Sie entdeckte sogar das Ehepaar, das sie nach Westhill mitgenommen hatte.
»Wenn Sie uns gesagt hätten, daß Sie hierher wollen, hätten Sie ganz mit uns fahren können«, sagte die Dame, als Frances an ihr vorbeiging. Es klang vorwurfsvoll, so als habe Frances sie persönlich gekränkt.
Sie drehte sich an der Tür noch einmal kurz um. Das Stimmengewirr hatte wieder eingesetzt. Sie sah John in seiner Uniform und Victoria daneben, das Maiglöckchen, so hübsch, so lieblich, so vollkommen.
Die perfekte Gattin, dachte sie, die perfekte Gattin für den Unter-hausabgeordneten John Leigh!
Und dann wurde ihr wirklich schlecht, und sie schaffte es gerade noch ins Freie, wo sie sich zittrig und schweißgebadet auf einen Stein setzte und wartete, daß sich ihr rasender Herzschlag wieder beruhigte.
Der Abend bewahrte die Vollkommenheit, die der Tag gebracht hatte. Es wollte nicht Nacht werden; die Sonne, obwohl bereits am westlichen Horizont untergegangen, erhellte den Himmel noch immer und ummalte die letzten kleinen Wolken mit roten Rändern. Es war der 21. Juni, der längste Tag, die kürzeste Nacht des Jahres, und hier oben im Norden würde es bis zum Aufgehen der Sonne nicht wirklich dunkel werden.
Frances saß in der äußersten Ecke des Gartens auf dem Steinmäuerchen, von dem aus man an dieser Stelle einen weiten Blick über das Tal hatte. Sie hatte die Beine eng an den Körper gezogen und ihre Arme darum geschlungen, denn die Luft war kühl, und aus dem Gras und der Erde ringsum kroch die Feuchtigkeit herauf. Irgendwo quakten Frösche, und ein paar Schafe schrien, wild und hungrig nach Liebe in dieser schlaflosen, hellen Nacht. Viel stärker als am Tag verströmte der Jasmin im Garten seinen süßen Duft.
Frances wandte sich nicht um, als sie leise Schritte hinter sich vernahm; sie wußte auch so, wer da kam. Ein zarter Lavendelhauch verriet es ihr.
»Es ist schon sehr spät«, sagte Kate, »und du mußt doch ziemlich müde sein inzwischen. Willst du nicht schlafen gehen?«
»Ich glaube nicht, daß ich schlafen kann. Ich muß immer an ...« Sie preßte die Lippen zusammen. Es tat zu weh, es auszusprechen.
Kate wußte, was sie meinte. »Du denkst an John und Victoria.«
Sie trat noch näher heran, stützte sich auf die Mauer und blickte über das sommerliche Tal, in dem die Schatten immer tiefer und dunkler wurden und ein leiser Wind die Blätter der Bäume geheimnisvoll rauschen ließ.
»Was für eine schöne Nacht«, sagte sie. »In solchen Nächten wünsche ich mir immer, ich wäre noch einmal jung.«
»Großmutter«, fragte Frances leise, »warum hast nicht einmal du mir etwas gesagt?«
Kate schwieg einige Augenblicke lang. »Ich war zu feige«, antwortete sie dann ehrlich. »Ich hatte Angst vor deiner Traurigkeit. Ich habe mir gesagt, wenn die beiden verheiratet sind, dann fahre ich nach London und erzähle es Frances. Ich wußte, jemand mußte es dir sagen, ehe du einem von ihnen wieder über den Weg läufst.«
»Du wärst wirklich gekommen?«
»Ich denke, ja. Jetzt könnte ich mich ohrfeigen, daß ich es vor mir hergeschoben habe. Dieser Schock heute hätte dir erspart bleiben müssen. Aber nun hilft kein Jammern. Ich bin zu lange ausgewichen, und jetzt haben wir die Quittung bekommen.«
Frances mußte an den Brief denken, den sie Phillip geschrieben hatte, weil sie es nicht fertigbrachte, ihm die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Sie konnte Kate nicht verurteilen. Sie selbst hatte sich kein bißchen mutiger verhalten.
»Ich verstehe nicht, wie John das tun konnte«, sagte sie und erschrak vor der kalten Verzweiflung in ihrer Stimme. »Er liebt mich. Er hat mich immer geliebt. Noch vor einem halben Jahr...«
»Du hast ihn mehrfach zurückgewiesen. Ein Mann wie John bittet nicht ewig. Ich nehme an, die Heirat mit der armen Vicky stellt seinen Versuch dar, sich dich aus dem Kopf zu schlagen. Er konnte sich nicht ein Leben lang nach dir verzehren, oder? Und vielleicht ist auch ein bißchen Trotz dabei: Frances wollte mich nicht, jedenfalls nicht sofort, nun kann sie sehen, daß ich auch noch andere Möglichkeiten habe.«
»Victoria ist nicht nur eine mühsame Ersatzlösung«, meinte Frances verzagt. »Ich habe sie ja gesehen heute. Sie ist so erwachsen geworden. Sie ist sehr hübsch, Großmutter. Viel hübscher, als ich es je war oder sein werde.«
»Sie
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