Das Haus der Seelen: Roman (German Edition)
keiner von ihnen. Sie strahlten zu hell, sie waren zu real, ihre Präsenz übermächtig; eingeprägt in die Welt wie ein eingestempeltes Erkennungszeichen. Jeder der Neuen Menschen existierte in mehr als drei Dimensionen gleichzeitig. Sie hatten Länge und Breite und Höhe, und dann war da noch mehr. Andere Dimensionen, physische und geistige Dimensionen.
Happy wurde mit dem, was er sah, nicht fertig, obwohl seine Schilde an Ort und Stelle waren. Er fiel auf die Knie und übergab sich lautstark. Melody kauerte neben ihm, einerseits, um ihm zu helfen und ihn zu schützen, andererseits, weil sie so die Neuen Menschen nicht mehr ansehen musste. Sie übergab sich nicht, aber sie sah aus, als habe sie Lust dazu. JC verstand das. Ihm tat es weh, die Neuen Menschen anzusehen, auch mit seinen gesegneten Augen. Die Neuen Menschen existierten sowohl in geistigen Dimensionen als auch in räumlichen. Das menschliche Hirn war nicht dazu geschaffen, mit so viel Information gleichzeitig fertig zu werden.
Und die ganze Zeit musste JC darüber nachdenken. Ist es das, was wir hätten sein sollen? Waren wir dazu bestimmt, das hier zu werden? Oder wurde uns das erlassen?
Kim kam dicht neben JC geschwebt und starrte die Neuen Menschen unsicher an. »Ich kann sie nicht sehen«, wisperte sie. »Da ist für mich nur Licht überall. Warum kann ich sie nicht sehen?«
JC schüttelte vage den Kopf, dann wandte er sich mit seinem ganzen Körper von den Neuen Menschen ab. Es half nicht. Er musste sie nicht sehen, um zu wissen, wo sie waren. Ihre Präsenz überlagerte alles.
Je länger JC und seine Leute sich an diesem neuen Ort aufhielten, desto mehr sahen sie. Der Kontakt mit den Neuen Menschen öffnete ihr inneres Auge, ihren Verstand für das Noumenon, das, was die Dinge ausmachte, wenn man hinter ihr äußeres Erscheinungsbild sah – all die zusätzlichen Ebenen der Realität, die ineinander übergingen, und die Welten, die einander überlappten und derer sich die meisten von uns glücklicherweise nicht bewusst sind. All die Orte und all die Dinge, die neben uns existieren und sich gnädig unserer Sicht entziehen. Denn ein Großteil der Menschheit würde tief im Wahnsinn versinken, wenn er wüsste, mit wem und mit was wir die Welt teilen. JC hatte durch seine goldenen Augen einiges davon gesehen, aber nie so viel wie das hier.
Er schloss seine Lider und fing doch immer wieder kurze Eindrücke von anderen Orten, anderen Welten, anderen Dimensionen auf, wo das Leben Formen und Aspekte angenommen hatte, die weit jenseits der Möglichkeiten dieser begrenzten Erde lagen. Er sah zwei Sonnen, die grimmig an einem giftgrünen Himmel hingen, über einer Landschaft, die sich ständig bewegte und nie stillstand. Er sah Dinosaurier mit gewaltigen, aufgeblähten Köpfen, die zielstrebig durch steinerne Galerien und mächtige Tunnel schritten, die Berge durchschnitten. Er sah eine trübe, rote Sonne, die schmutziges Licht aus einem senfgelben Himmel schickte, übermannsgroße Insekten, die über einen steinernen Hügel schwärmten, der so groß wie ein Wolkenkratzer war und die aus Löchern in der Seite hinein- und wieder herausschossen, um eine unbekannte Aufgabe zu meistern.
JC schrie auf und hob die Hände an den Kopf. Er glaubte, er höre sich Zu viel, zu viel! sagen, aber er konnte nicht sicher sein. Seine Gedanken folgten schmerzhaft schnell aufeinander, eine Idee nach der anderen stürmte durch seinen Geist und schoss, ohne dass er es kontrollieren konnte, hin und her. Er kämpfte darum, ein Dutzend unmögliche Dinge gleichzeitig zu verstehen und zu verarbeiten. Plötzliche Erkenntnis flammte immer wieder in seinem Verstand auf, Einsichten in die Natur der Realität selbst. Schmerzhaft klar, doch er war nicht in der Lage, sich hinterher daran zu erinnern. Oder wenigstens nicht auf eine Art und Weise, die einen Sinn ergab. Außer in Träumen – aus denen er in kaltem Schweiß gebadet und aufschreiend erwachte, im Griff eines namenlosen Schreckens.
Er setzte sich plötzlich, und Kim schwebte unbehaglich über ihm. JC biss die Zähne aufeinander und konzentrierte sich darauf, seines Geistes Herr zu werden, Meister seiner Seele. Und langsam, Stück für Stück, sammelte er seine Gedanken und setzte sie zusammen. Und als er seine goldenen Augen wieder öffnete, war er endlich in der Lage, mit dem fertig zu werden, was er sah.
Eines der ersten Dinge, die ihm zu Bewusstsein kamen, war Happy, der Melody fortstieß, als sie versuchte, ihn davon
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