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Das Haus der Sonnen

Das Haus der Sonnen

Titel: Das Haus der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds , Norbert Stöbe
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Hofdame, die noch immer in der Schwarzen Burg gefangen gehalten werde, müsse sterben, wenn ich Calidris’ Aufenthaltsort nicht preisgäbe. Zudem werde sie nicht einfach hingerichtet werden, sondern ihre Todesart werde »im Einklang stehen« mit meiner fortgesetzten Widerborstigkeit. Ich könne ihr Leben retten, wenn ich binnen Stundenfrist tätig werde; ich könne ihre Qualen mindern, wenn ich binnen Tagesfrist handele; wenn ich jedoch meine Antwort noch länger hinausschöbe, wäre ihr ein langsamer und schmerzhafter Tod gewiss.
    »Das darf ich nicht zulassen«, sagte ich zu meinem Haushofmeister Daubenton. Er stand im Beratungsraum, dessen schwerer Eichentisch sich bog unter der Last der Landkarten und Kriegspläne, dem gestapelten Pergament und Leder. Um Spione und Meuchelmörder zu täuschen, fanden die Beratungen in einem dunklen Gewölbe mit kleinen, vergitterten Fenstern statt. Die Kerzen vermochten die militärisch strenge Düsternis kaum zu zerstreuen. Innerhalb dieser Mauern war noch nichts Gutes ausgeheckt worden, nur Tod und Strafe. Neben Daubenton stand Waffenmeister Cirlus. »Ich hatte gehofft, nach allem, was er für uns getan hat, bliebe es mir erspart, Calidris zu verraten«, sagte ich.
    Cirlus betastete die flammend rote Narbe, die er sich bei einem Duell zugezogen hatte. »Ihr könntet Calidris nicht einmal dann verraten, wenn Ihr es wolltet, Herrin. Nicht einmal meine besten Spione kennen das Versteck des Zauberers. Das war sein Wunsch – er wollte sich sowohl seinen Feinden als auch seinen Gegnern entziehen.«
    »Calidris muss sich unter Menschen verstecken«, sagte ich. »Das ist seine Stärke und zugleich seine Schwäche. Kein anderer Magier ist so mächtig wie er. Aber die Magie ist eine seltsame Gabe. Sie durchdringt den Geist derer, die über sie gebieten wollen. Ein Magier nimmt den Geist eines Kollegen wahr wie ein Leuchtfeuer in einer dunklen Gegend. Ein Magier kann sich nur dann verstecken, wenn er sich mit kleineren Geistern umgibt. Niemand ist gänzlich frei von magischer Kraft; wir alle verfügen über mehr oder weniger stark ausgeprägte magische Kräfte. Unser Geist flammt nicht so hell, doch für einen wie Calidris mag dieser Schutz genügen. In Städten, Dörfern und Weilern vermag er sein helles Licht inmitten der schwächeren Glut seiner Mitmenschen zu verbergen. Auf diese Weise kann er nicht einmal von einem anderen Magier so leicht aufgespürt werden. Das ist seine Stärke. Doch es ist auch eine Schwäche, denn es macht das Reisen für ihn gefährlich, auch in Gesellschaft anderer. Und wenn ein Mann wie Mordax Calidris aufspüren will, braucht er nur jedes Dorf im Königreich mit Krieg zu überziehen, bis er den Magier aus der Deckung getrieben hat.«
    »Es liegen bereits Berichte vor, wonach Dörfer und Weiler am Westrand des Schattenwaldes niedergebrannt wurden«, sagte Daubenton. »Die Reiter kamen von Osten und sprachen den rauen Dialekt der Briganten …«
    Ich nickte bedrückt. »Aber wir dürfen davon ausgehen, dass Mordax’ Männer dafür verantwortlich waren. Des Weiteren gibt es Grund zu der Annahme, dass sie mit allen Dörfern, in denen sie Calidris vermuten, ebenso verfahren werden. Unsere Streitmacht ist geschwächt – wir können nicht jedes einzelne Dorf verteidigen.« Ich legte das verhasste Dokument weg, dieses schändlich duftende Papier, das mein Stiefbruder in Händen gehalten und beschrieben hatte. »Ich darf nicht zulassen, dass mein Volk verbrannt wird. Glaubt Ihr, Graf Mordax wird uns in Ruhe lassen, wenn die Hofdame den Tod gefunden hat?«
    »Ich fürchte nein, Herrin«, antwortete Daubenton. »Aber ändert das etwas? Wir können Calidris nicht aufspüren.«
    »Ich schon«, entgegnete ich.
    »Wie sollte das zugehen?«, fragte Cirlus.
    »Ludmilla hat mir die Baupläne ihrer Raumschiffe überlassen«, sagte ich.
    Daubenton runzelte die Stirn. »Herrin?«
    Ich schämte mich meines kindlichen Ausbruchs; die Bemerkung war mir einfach so herausgeplatzt. Ludmilla Marcellin war ein Phantasiegeschöpf meiner Träume: die Prinzessin eines anderen Reiches – eines des Weltraumjargons und der Himmelspaläste.
    Sie gehörte nicht hierher.
    »Verzeiht«, sagte ich. »Ich habe Unsinn geredet, weil ich übermüdet bin.«
    »Das macht doch nichts, Herrin«, sagte Cirlus. »Aber was Calidris angeht …«
    »Ich kann ihn aufspüren. Vor seinem Verschwinden hat er mir ein Geschenk gemacht.« Ich zog den mit Stickereien verzierten Nähkasten aus den Falten meines

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