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Das Haus der Sonnen

Das Haus der Sonnen

Titel: Das Haus der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds , Norbert Stöbe
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wir wissen, wer wir sind. Wir wissen, wie unersetzlich wir sind. Ich könnte dich nicht töten, Campion. Ich mag vieles missbilligen, was du getan und wie du dich über die Familientradition hinweggesetzt hast, aber ich könnte dir kein Haar krümmen. Das wäre so, als zerstörte man ein historisches Bauwerk, als vergiftete man ein fragiles Ökosystem … das wäre nicht nur Mord, sondern ein Akt von Vandalismus. Ich nehme an, du siehst das ganz ähnlich.«
    »Natürlich tue ich das«, sagte ich aufgebracht. »Aber nur deshalb, weil ich kein Mörder bin. Und du auch nicht, wenn du wirklich so empfindest, wie du sagst. Aber irgendjemand sieht das offenbar anders. Jemand hat in Miere ein Hindernis gesehen, das man so mühelos beseitigen kann, wie man ein Stück Abfall in den Müllschlucker wirft.«
    »Dann war der Betreffende keiner von uns. Egal, wie er aussieht, im Herzen ist er kein Gentianer.«
    »Ich wünschte, ich könnte mich deiner Sichtweise anschließen.«
    Betonie blickte sich über die Schulter um. Ich folgte seinem Blick mit den Augen und sah einen gentianischen Flieger – vom gleichen offenen Typ wie der, der Portula und mich zum Luftgeist gebracht hatte -, der sich langsam auf uns herabsenkte. »Wir bringen sie in den Orbit«, sagte Betonie. »An Bord der Blauen Adonis kann ich sie scannen.«
    »Sie ist tot«, sagte ich.
    »Wir müssen es wenigstens versuchen , Campion.« Das sagte er mit solcher Heftigkeit, dass ich mich unwillkürlich fragte, ob er vor einem Nervenzusammenbruch stand. Ich dachte daran, wie sehr er sich gefreut hatte, als ich ihm berichtete, dass Portula und ich Überlebende gerettet hätten. Mieres Tod traf mich besonders schwer, doch es würde für uns alle schwer werden, auch für Betonie. Jetzt gab es nur noch einundfünfzig Splitterlinge, und es war nicht auszuschließen, dass mindestens einer der Überlebenden versuchte, den Rest von uns umzubringen.
    Der Flieger setzte auf. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete ich Miere und dachte daran, wie sie beim Frühstück ausgesehen hatte. Das schien bereits eine Ewigkeit her zu sein; damals war das Universum noch ein freundlicherer Ort gewesen, erfüllt von bunten Primärfarben.
    Der Wind wurde stärker und wehte Staub gegen meine Wangen.

Zwanzig
     
     
     
     
     
    An diesem Abend war Campion schweigsam. Ich trauerte um Miere und war gleichzeitig wütend und verwirrt, doch da war auch noch eine andere Empfindung, über die ich mit ihm nicht sprechen konnte. Ich wusste, dass er sie gemocht hatte – häufig hatte ich bemerkt, dass sein Blick auf ihr ruhte und nicht auf mir. Miere hatte genau gewusst, wie er für sie empfand – das sah man ihr an, wenn sie miteinander sprachen, eine bezaubernde Mischung aus Belustigung und Hochmut, die ihr gut stand. Missbilligung über Campions vorsichtige Avancen kam darin zum Ausdruck, aber auch verhaltener Respekt. Dieser Blick besagte: Du bildest dir ein, dass ich dich ebenso interessant finde wie du mich? Na ja, vielleicht macht dich ja deine Kühnheit für mich interessant, aber nur flüchtig. Nicht dass seine koketten Avancen mehr bedeutet hätten als den Auftakt zu einem Spiel, das er gar nicht zum Abschluss bringen wollte. Er mochte sie sehr, war fasziniert von ihr, doch ich glaube nicht, dass er jemals daran gedacht hat, diese Faszination so weit zu treiben, mit ihr zu schlafen oder auch nur den unter Splitterlingen üblichen höflichen Begrüßungskuss über Gebühr auszudehnen. Gleichwohl hätte ich Anlass zur Eifersucht gehabt, so harmlos seine Absichten auch gewesen sein mochten. Doch ich hatte es nicht fertiggebracht, Miere nicht zu mögen. Das war für mich am schwersten zu ertragen gewesen.
    Jetzt war ich erleichtert – nicht darüber, dass sie tot war, sondern dass ich sie nie gehasst und ihr nicht einmal die kalte Schulter gezeigt hatte. Und ich wollte alles daran setzen, ihren Mörder zu finden und ihm unaussprechliche Dinge anzutun.
    Am Morgen erwarteten mich noch vor dem Frühstück die beiden Robots.
    »Wir haben von dem schrecklichen Vorfall erfahren«, sagte Kadenz.
    »Ein furchtbares Unglück«, sagte Kaskade. »Nach allem, was Sie erlitten haben, jetzt ein weiterer Verlust – uns fehlen die Worte, um unserem Mitgefühl Ausdruck zu verleihen.«
    »Danke«, sagte ich.
    »Wir haben gehört, es soll eine Art Zeremonie stattfinden«, sagte Kadenz.
    »Mieres Bestattung wird wahrscheinlich morgen oder übermorgen stattfinden. Sobald man das, was noch vorhanden ist, gescannt

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