Das Haus der Sonnen
haben es mit Fassung aufgenommen. Dann können wir nur hoffen, dass Ihre Mitsplitterlinge Ihrem Beispiel folgen werden, nicht wahr?«
Die Innentür schloss sich hinter ihm. Durch die verglaste Trennwand beobachtete ich, wie seine goldene Verkleidung aschgrau wurde. Ich hätte nie gedacht, dass er so mühelos seine Erscheinung verändern könnte, doch inzwischen konnte mich nichts mehr an Hesperus überraschen. Als er sich aus dem Schleusenraum katapultierte, verwandelte sich das Aschgrau in einen dunklen, verwischten Schemen. Dann schloss sich die Außenluke, und ich war mit meinen Ängsten allein in der weißen Arche.
Auf einmal wurde mir bewusst, dass ich das einzige Lebewesen an Bord meines Raumschiffs war.
SIEBTER TEIL
Relictus hauste seit sechs Jahren im tiefsten Verlies des Palastes, jedoch unterschieden sich die Umstände seiner Unterbringung von denen der übrigen Gefangenen. Man hatte ihm zwei Räume zugewiesen; in dem einen Raum schlief er, im anderen aß er und widmete sich seinen Studien. Er hatte einen Kamin, um sich zu wärmen, außerdem Papier, Schreibfedern und Tinte sowie eine kleine Bücherei, die er selbst zusammengestellt hatte. Er bekam Wein zu trinken und die gleichen Speisen vorgesetzt wie die ranghöchsten Soldaten. Hin und wieder bekam er sogar Besuch von einer Kurtisane. Verboten war ihm lediglich der Einsatz seiner Zauberkräfte. Wenn er nicht gerade aß oder trank, trug er eine schwere Maske, die seine Stimme so stark verzerrte, dass er keine Zaubersprüche rezitieren konnte. Wenn es notwendig war, ihm die Maske abzunehmen, damit man ihn füttern konnte, wurden ihm die Hände gefesselt. Wächter schaufelten ihm die Nahrung in den Mund und spülten sie mit Wein hinunter. Sie behandelten ihn mit unterwürfigem Respekt, wie man sie angewiesen hatte. Während der ganzen Prozedur wurde er aus nächster Nähe von einem weiteren Mann bewacht. Dieser Mann war mit einem Messer bewaffnet und hatte Anweisung, Relictus den Hals durchzuschneiden, falls er gegen das Zauberverbot verstoßen sollte.
Ich besuchte ihn im Verlies, denn es wäre zu gefährlich gewesen, ihn nach oben zu bringen. Mit Maske und gefesselten Armen und Beinen saß er auf einem schwarzen Stuhl, der am Boden fixiert war. Hinter ihm stand ein Wärter, der ihm ein Messer an den Hals drückte. Ich sah nur seine Augen, die sich hinter den runden Löchern der aus Leder und Metall gefertigten Maske bewegten. Es waren die Augen eines jungen Mannes, der fast noch ein Jüngling war.
»Ich stecke in Schwierigkeit, Relictus. Ich glaube, du kannst mir nicht vorwerfen, ich hätte dich nicht gut behandelt. Es stimmt, dass du nie ein richtiger Gefangener warst, aber als deine gefährliche Begabung offenbar wurde, riet man mir, es sei am sichersten, wenn man dir die Zunge herausschnitte, dir die Hände abhackte und die Augen ausbrannte. Ich habe nichts dergleichen getan, denn ich bin eine feinfühlige Frau. Ich hatte zwar keine andere Wahl, als dich einzusperren, doch ich habe keine Mühen gescheut, um dir den Kerkeraufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Ich durfte nicht zulassen, dass du deine Magie praktizierst, doch ich habe dir mehr Annehmlichkeiten gewährt als jedem anderen Gefangenen. Ich glaube, du kannst nicht abstreiten, dass du in Anbetracht der Umstände rücksichtsvoll behandelt wurdest.«
Relictus nickte. Ich wusste nicht, ob er damit Widerspruch anmelden oder sein Einverständnis mit meiner Äu ßerung bekunden wollte.
»Wie schon gesagt, es gibt Schwierigkeiten. Es dürfte deiner Aufmerksamkeit nicht entgangen sein, dass Calidris – dein ehemaliger Lehrer – jetzt ein Gefangener des Grafen Mordax ist. Zu meinem Bedauern, aber nicht zu meinem Erstaunen, hat er sich gegen uns gewendet. Mittels seiner magischen Kräfte hat er eine Armee von Gespenstersoldaten erschaffen, die von Tag zu Tag zahlreicher werden, während unsere Streitmacht stetig schwächer wird.«
Relictus nickte erneut, dann wandte er seine Maske dem Papier und der Tinte auf seinem Schreibtisch zu. Damit wollte er deutlich machen, dass er etwas aufzuschreiben wünschte. Man band ihm die eine Hand los. Das Messer wurde noch fester gegen den schmalen Streifen Haut gedrückt, der unter der Maske hervorschaute.
Er schrieb: Erzählt mir von den Soldaten.
»Sie tragen Rüstungen, kaputte und vollständige. Sobald die Rüstung durchbohrt oder entfernt wird, verflüchtigt sich der Geist oder das Phantasma, welches diese Hülle belebt hat. Augenzeugen
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