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Das Haus der Sonnen

Das Haus der Sonnen

Titel: Das Haus der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds , Norbert Stöbe
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speckigen Kittel bekleidet. Das Haar hing ihm in glatten Strähnen über die Augenlöcher der Maske. Er murmelte etwas hinter der Maske hervor und reckte seine Hände einem der Wächter entgegen.
    »Bindet ihn los«, sagte ich. »Er möchte ungehindert mit mir sprechen.«
    »Das ist gefährlich, Herrin«, meinte Cirlus warnend.
    »Und ich habe einen Befehl gegeben. Bindet ihn los und nehmt ihm die Maske ab!«
    Relictus hatte noch immer das Gesicht eines jungen Mannes, doch es war verzerrt von Ehrgeiz und Machtgier. Hinter ihm stand ein Wächter, der ihm ein Messer an den Adamsapfel drückte.
    »Gibt es Fortschritte?«, fragte ich.
    »Ich glaube ja, Herrin.«
    »Berichte.«
    »Die Magie, die hier am Werk ist, zeigt eindeutig Calidris’ Handschrift. Da bin ich mir ganz sicher. In der Rüstung befindet sich eine so genannte falsche Seele. Wir haben schon häufig solche Wesenheiten heraufbeschworen und sie in die Welt entlassen. Das ist ein subtiles, schwieriges Unterfangen, das nur den Begabtesten gelingt. Selbst für Calidris war das Heraufbeschwören einer falschen Seele eine schmerzhafte, langwierige Übung. Um mir seine Macht zu demonstrieren, zeigte er mir einmal, wie man es anstellt – er sperrte eine falsche Seele in ein Stundenglas, und wir beobachteten, wie sie den Sand umherbewegte. Dann schwor er, dergleichen niemals zu wiederholen, und ließ mich das Gleiche geloben. Eine falsche Seele ist sozusagen lebendige Magie, die unabhängig von ihrem Schöpfer ein Eigenleben besitzt. Deshalb ist sie gefährlicher als jeder Zauberspruch, der einen bestimmten Zweck verfolgt und anschließend seine Gültigkeit verliert.«
    »Jetzt aber erschafft Calidris viele falsche Seelen. Wie ist das möglich?«
    »Es gibt die Gespenstersoldaten nun mal, das lässt sich nicht bestreiten. Ich kann nur mutmaßen, dass Calidris seine magischen Fähigkeiten so weit verbessert hat, dass er nun zehn oder hundert falsche Seele mit dem gleichen Aufwand erschaffen kann wie zuvor eine einzige. Bisweilen hat er von Methoden gesprochen, die es erlauben würden, einen Zauberspruch mittels Hebeln und Sprechrohren zu vervielfältigen.« Er blickte zu der an den Holzrahmen gefesselten Gestalt hinüber, die uns mit dem Metallschnabel des Visiers beobachtete. Man hatte mir gesagt, die Augenschlitze wären verglast. Bei der Untersuchung der Rüstung hatte sich herausgestellt, dass die Gelenke und die Versiegelung besonders aufwendig gearbeitet waren, damit der rote Nebel nicht entweichen konnte. »Darf ich ihn vom Rahmen losbinden?«, fragte Relictus. »Ich glaube, das wird Euch interessieren. Er kann Euch nichts tun; er ist ganz fügsam.«
    »Fügsam?«, wiederholte ich, denn damit hatte ich in Anbetracht der Wildheit, mit der die Gespenstersoldaten meine Regimenter dezimierten, nun wirklich nicht gerechnet.
    »Ich gebe Euch mein Wort.«
    Ich nickte den Wachen auffordernd zu. Relictus bekam wieder seine Gesichtsmaske aufgesetzt. Ohne das Messer von seinem Hals fortzunehmen, löste man ihm die Handfesseln, damit er die Rüstung losbinden konnte. Als die Wächter ihn erneut fesseln wollten, tippte Relictus auf die Maske und murmelte etwas Unverständliches.
    »Lasst ihn so«, sagte ich. »Er möchte seine Hände gebrauchen, braucht aber nicht zu sprechen. Die Gespenstersoldaten reagieren nicht auf gesprochene Befehle.«
    Relictus bedeutete der Gestalt, sie solle vortreten. Mit klirrenden Stiefeln tat sie zögernd mehrere Schritte. Relictus hob den Arm. Die Gestalt ahmte seine Bewegung nach. Mittels Gesten gab er eine kompliziertere Anweisung. Die Gestalt näherte sich steifbeinig dem Tisch und nahm eine Schreibfeder in die Hand. Relictus ließ sie noch weitere Aufgaben ausführen, dann befahl er ihr, zum Holzrahmen zurückzugehen, worauf sie erneut festgebunden wurde.
    Die Wächter fesselten Relictus die Hände und nahmen ihm die Maske ab.
    »Fügsam, in der Tat«, sagte ich.
    »Er wird alles tun, was Ihr von ihm verlangt. Jetzt, da er mich als seinen Herrn anerkannt hat, könnte ich ihn sogar gegen andere Gespenstersoldaten in die Schlacht schicken. Er würde bereitwillig gegen sie kämpfen.«
    »Das würde uns nichts nützen. Weshalb lässt er sich so einfach herumkommandieren, Relictus?«
    »Die Fügsamkeit liegt in der Natur der falschen Seelen, Herrin. Calidris kann daran nichts ändern. Im Grunde handelt es sich um unschuldige Wesen, die tun, was man ihnen sagt, vorausgesetzt, dass man die Befehle mit genügend Nachdruck vorbringt. Stellt sie

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