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Das Haus der Sonnen

Das Haus der Sonnen

Titel: Das Haus der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds , Norbert Stöbe
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können. Aufgrund des Doppelblindverfahrens würde meine Identität sogar den Überwachungsgeräten verborgen bleiben. Sie würden mich genauso behandeln wie die anderen Splitterlinge. Keine Dokumente würden belegen, welcher Splitterling die wahre Abigail war. Wenn ich erwachte, würde ich einen neuen Namen annehmen.
    Am schönsten dabei wäre, dass ich selbst nicht wissen würde, wer ich gewesen war. Da man meine gescannten Erinnerungen allen Splitterlingen einpflanzen würde, würden sie sich auch alle an den Besuch dieses Raums mit dem leeren Bioreaktor erinnern. Sie alle könnten sich in dem Glauben wiegen, sie selbst seien vielleicht einmal Abigail gewesen. Sie würden über all meine Erinnerungen verfügen, so weit sie zurückreichten: Erinnerungen an das Haus, den kleinen Jungen und unsere gefährlichen Spiele. Meine Erinnerungen wären nach der Übertragung nicht schärfer oder authentischer als die der Klone.
    Ich hatte den Klonraum allein betreten, doch nun hörte ich hinter mir jemanden leise atmen. Ich wandte mich schaudernd um, doch es war nur Madame Kleinfelter. Sie war inzwischen sehr alt geworden und benutzte ein mobilitätssteigerndes Exoskelett. Es funktionierte lautlos und erlaubte es ihr, wie eines von Mutters Gespenstern im Haus umherzuschleichen. Da sie noch immer Zugang zu allen Räumen hatte, hatte sie unbemerkt eintreten können.
    »Du glaubst, der Zeitpunkt sei gekommen«, sagte Madame Kleinfelter in missbilligendem Ton. Sie blickte den leeren Bioreaktor an, vor dem ich stand. »Hab ich Recht, Abigail?«
    »Die Raumschiffe sind startbereit und getestet. Die Klone nähern sich der Reife – wir können sie jederzeit aus dem Reaktor holen und aufwecken.«
    »Und du? Bist du bereit, dich in den tausendsten Klon zu verwandeln?«
    »Dieser Zeitpunkt ist so gut wie jeder andere.«
    »Die Psychochirurgen sehen das möglicherweise anders.«
    »Die werden nicht dafür bezahlt, dass sie ihre Zustimmung erteilen. Jedenfalls sehe ich das so.« Ich musterte trotzig ihr faltenzerfurchtes Gesicht. »Warum? Was haben sie Ihnen gesagt?«
    »Nur dass du dich noch nicht ausreichend vom Palasttrauma erholt hast.«
    »Das ist über ein Jahr her. Wie lange soll ich ihrer Ansicht nach noch warten?«
    »Sie halten sich mit voreiligen Prognosen zurück. Vielleicht sechs Monate, vielleicht auch ein Jahr.«
    »Oder zwei oder drei Jahre. Haben Sie schon mal daran gedacht, dass die Ärzte nur so lange Arbeit haben, wie ich hier lebe?«
    »Sie müssen sich immer noch um deine Mutter kümmern.«
    »Die haben sie doch längst aufgegeben«, entgegnete ich höhnisch.
    Eine Gesichtsregung, die sie nicht zu unterdrücken vermochte, zeigte mir an, dass ich mit meiner Behauptung Recht hatte. »Trotzdem wäre es unklug, nicht auf sie zu hören. Mit dem letzten Scan wird deine Persönlichkeit gleichsam in Stein gemeißelt. Alles, was an dir in dem Moment richtig und falsch ist, wird Teil der Splitterlinge. Sie werden deine Fehler und Makel bis ans Ende der Zeit mit sich herumschleppen. Bist du ihnen nicht etwas Besseres schuldig als eine beschädigte, unvollständig geheilte Persönlichkeit?«
    »Ich schulde ihnen gar nichts. Sie sind ich.«
    »Nein, Abigail. Sie sind nicht du, so sehr du dir das auch wünschen magst. Sie sind deine Kinder. Je mehr du dich bemühst, sie dir mit Gewalt ähnlich zu machen, desto eher werden sie sich wie ein außer Kontrolle geratenes Feuerwerk auseinanderentwickeln und dich überraschen und enttäuschen. Ganz gleich, ob es sechs Monate oder ein Jahr oder länger dauern mag, bis du dich vollständig erholt hast … wäre es nicht besser, mit der Übertragung deiner Persönlichkeit noch zu warten? Wenn dein Plan so funktioniert, wie du dir das vorstellst, liegt die ganze Ewigkeit vor dir. Du brauchst nichts zu überstürzen.«
    »Jede Sekunde, die ich in diesem Haus verbringe, ist eine Sekunde zu viel.«
    »Das Haus hat dich zu dem gemacht, was du bist.«
    »Dann sollte ich es bei meiner Abreise vielleicht zerstören lassen. Ach, keine Sorge, Madame Kleinfelter – es wird Ihnen schon an nichts fehlen.«
    »Glaubst du, nach all der Zeit wäre mir mein Wohlergehen wichtiger als das deine?«
    Meine Erwiderung blieb mir im Halse stecken. Die Geräte summten, piepsten und zirpten. Die Klone in den Brutreaktoren atmeten langsam die flüssige Luft ein. Ihre Augen zuckten unter den Lidern, während die Daten durch die noch im Wachstum begriffenen neuronalen Schaltungen ihres Gehirns strömten.
    »Sie haben

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