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Das Haus der Sonnen

Das Haus der Sonnen

Titel: Das Haus der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds , Norbert Stöbe
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aufbrechen wollen, aber wir können davon ausgehen, dass es nicht in unserem Interesse liegt. Jetzt, da wir ihr Ziel kennen – in dieser Hinsicht bin ich mir ganz sicher -, müssen wir verhindern, dass die Silberschwingen es erreicht. Ich spreche hier nicht von Beschädigen, Campion. Wenn so viel auf dem Spiel steht, dürft ihr kein Risiko eingehen. Sag Galgant, er soll alle Waffen einsetzen, die er zur Verfügung hat. Sag ihm, er soll mich abschießen.«

ACHTER TEIL
     
    R elictus mochte für Calidris eine Enttäuschung gewesen sein, doch für mich galt das nicht. Während wir nach wie vor erhebliche Verluste hinnehmen mussten, arbeitete der gescheiterte Zauberlehrling den Gegenzauber aus. Wegen der Einschränkungen, denen er unterworfen war, konnte er nur die einfachsten Elemente ausprobieren. Er grübelte wochenlang über den Zauber nach und beschäftigte sich selbst mit den kleinsten Details.
    »In dem Moment, da ich den Zauber ausspreche, wird Calidris es erfahren«, sagte Relictus. »Ich muss mir des Erfolgs sicher sein, denn wenn ich scheitere, werde ich keine zweite Gelegenheit mehr bekommen. Calidris wird seinen Zauber entsprechend anpassen, und dann ist es zu spät.«
    »Tu, was du tun musst.«
    Schließlich erklärte er, er sei so weit. Der Zauberspruch nahm ein ganzes Blatt Papier ein, so kompliziert und geheimnisvoll wie die Noten eines Kammermusikstücks. Wenn er ihn ausspräche, gäbe es kein Zurück mehr, und der kleinste Fehler, die kleinste Nachlässigkeit, würde den ganzen Zauber unwirksam machen.
    »Ihr müsst mir die Fesseln abnehmen«, sagte Relictus. »Wenn ich nicht vollständige Bewegungsfreiheit habe, wird der Zauber missraten.«
    »Halt ihm das Messer an den Hals«, wies ich Lanius an, der mit mir im Verlies war.
    Relictus schüttelte langsam den Kopf. »Das Messer würde mich behindern.«
    »Ich soll dir vertrauen, obwohl du dich mithilfe der Magie auch aus dem Verlies befreien könntest?«, fragte ich.
    »Selbst wenn ich das täte, Herrin, so wäre mein Verschwinden doch Eure kleinste Sorge. Graf Mordax würde triumphieren, und das wäre für mich ebenso schlecht wie für Euch. Euch bleibt kaum etwas anderes übrig, als mir zu vertrauen.«
    »Nimm das Messer weg!«, knurrte ich.
    Relictus fuhr mit dem Finger über die Stelle an seinem Hals, wo das Messer ihn geritzt hatte. Da wusste ich, dass er uns nicht verraten würde. Er hatte bereits Gelegenheit gehabt, uns mit einem Zauber zu schwächen, doch er hatte darauf verzichtet.
    Er trat vor den Gespenstersoldaten hin und löste dessen Fesseln.
    »Weshalb machst du ihn los?«, fragte ich.
    »Um die Wirksamkeit meines Zaubers zu demonstrieren, Herrin. Ansonsten würdet Ihr keinen Unterschied feststellen.«
    »Ist das nicht gefährlich?«
    »Überhaupt nicht. Seht Ihr denn nicht, wie fügsam er geworden ist?« Relictus bedeutete dem Gespenstersoldaten, einen Schritt vorzutreten, dann hob er den Arm, um ihm anzuzeigen, er solle stehen bleiben. »Er versteht genau, was ich von ihm will. Er glaubt noch immer, ich wollte ihm nichts Böses. Vielleicht mag er mich sogar, insofern er überhaupt Zuneigung empfinden kann. Ich habe ihn viel besser behandelt als der Hauptmann, der ihn in den Kampf geschickt hat.«
    »Bist du bereit, den Zauberspruch aufzusagen?«
    Er ging zum Schreibtisch zurück, streifte sich das Haar aus seinen wild dreinblickenden Augen und fuhr mit dem Finger die Zeilen des Zauberspruchs entlang, der in der Symbolsprache der Magier verfasst war. Einmal hielt er inne und ließ den Finger eine Zeile zurückwandern. In seiner Miene zeichnete sich Zweifel ab. Dann aber nickte er und ließ den Finger weiter nach unten wandern.
    »Es gibt keinen Grund, das Ganze noch länger hinauszuschieben. Einen günstigeren Moment wird es nicht geben«, erklärte Relictus.
    »Dann tu’s!«
    Er schloss kurz die Augen, holte tief Luft und hob zu sprechen an. Die Worte waren für mich unverständlich, die Gesten sinnlos. Allerdings war nicht zu bestreiten, dass sie eine Wirkung auf den Gespenstersoldaten hatten. Er begann krampfhaft zu zucken, die Rüstung ruckte hin und her. Relictus war dermaßen auf die akkurate Wiedergabe seines Zauberspruchs konzentriert, dass er wohl nichts davon mitbekam. Als er die Hälfte des Spruchs rezitiert hatte (ich beobachtete den Fortschritt seines die Zeilen entlangwandernden Zeigefingers), kippte die Rüstung nach vorn, und der Gespenstersoldat prallte wie ein Kranker, der einen Krampfanfall hat, auf den Boden des

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