Das Haus der Tänzerin
und treffen sich auf dem Dreschboden. Aber vor den brujas , den schwarzen Hexen, muss man sich in Acht nehmen …«
»Mach dich nicht lächerlich«, sagte Hugo lachend. »Du bist ein Romantiker, Charles – vielleicht der Letzte einer aussterbenden Art.« Er streckte seinem Freund die Hand entgegen. »Wir fahren. Einverstanden? Die Welt braucht wahrscheinlich nicht noch einen zweitklassigen deutschen Künstler, und für dich sind immer Schmetterlinge da.«
Charles schlug ein, dann lehnte er sich zurück und legte die Fingerspitzen auf die raue Wolle seines Jacketts, spürte Freyas Brief in der Brusttasche. »Das ist unsere Chance. Was in Spanien vor sich geht, ist eine Miniaturversion dessen, was auf der ganzen Welt passieren könnte. Wenn wir nicht die Faschisten auf den Straßen nach Madrid bekämpfen, stehen sie uns, kaum dass wir es uns versehen, auf der King’s Road oder dem Fosse Way gegenüber.«
Freya kauerte sich hinten im Lastwagen zusammen, der holpernd Richtung Madrid fuhr. Gegen die Kälte hatte sie sich einen violetten Morgenrock um den Kopf gebunden.
»Verdammt«, fluchte sie verhalten, als sie erneut in ein Schlagloch fuhren und ihr der Stift über das Papier rutschte. Mit eiskalten Händen beugte sie sich über ihre eselsohrige Ausgabe von Vom Winde verweht , deren Seiten im Wind flatterten.
Spanien ist ziemlich schön, das weißt du, Charles,
schrieb sie auf die leere letzte Seite.
Du musst einfach kommen. Übrigens, danke für das Früchtebrot. Es tut immer gut, die Briefe von dir zu lesen. Es scheint mir eine Ewigkeit her zu sein, seit die Leute uns an der Victoria Station mit einem Blumenregen verabschiedet haben – war das erst letzten Monat? Die Fahrt von der spanischen Grenze hier herunter hat große Freude gemacht. Unser Laster war voll mit Toffees und Lakritze für die Kinder. In jedem Dorf, durch das wir fuhren, kamen sie zu uns gerannt. Frauen beschenkten uns mit Orangen und Melonen – Charles, du ahnst gar nicht, was für eine Wohltat eine kalte Melone ist, wenn deine Kehle von der stundenlangen Fahrt wie ausgedörrt ist.
In den Krankenhäusern fehlt es an allem. Die Krankenschwestern sind nur noch erschöpft und hungrig, und im Winter wird es noch schlimmer, aber wir dürfen nicht klagen. Die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, sind großartig und unglaublich tapfer. So ein armes Land. Es ist unerträglich, dass diese Krankheit, dieser Bürgerkrieg, es auseinanderreißt.
Komm, sobald du kannst. Zum ersten Mal gibt es nur eine Möglichkeit für uns. Das Gute muss das Böse besiegen. Wir können nicht zulassen, dass sie hier die Demokratie zerstören. Das ist auch unser Krieg, lieber Bruder.
Der Lastwagen kam beim ersten Kontrollpunkt vor der Stadt ruckelnd zum Stehen, und Freya blickte auf. Fahrzeuge rollten vorbei, und sie hörte undeutlich Stimmen, ein Telefon, das im Wachhaus unablässig klingelte. Freya unterschrieb den Brief noch schnell, riss die Seite heraus und steckte sie in einen vorbereiteten Umschlag. Sie band sich die unter ihrem Kinn verknoteten Ärmel des Morgenrocks auf und schüttelte ihren blonden Bob aus.
»Salud compañero!«, rief sie einem der Wachposten zu. »Die Post?«
»Er kommt bald.« Der Soldat bedeutete ihr, ihm den Brief zu reichen. Als der Lastwagen losfuhr, drückte sie ihn ihm in die ausgestreckte Hand.
»Gracias!«
» De nada. Keine Ursache.«
Freya setzte sich wieder zu den anderen Krankenschwestern und blickte Richtung Madrid, während sie auf die Stadt zufuhren. Sie hatte gehört, dass fünfzig Kirchen in Brand gesetzt worden waren, und in der Luft hing immer noch beißender Rauch, dunkel und schwefelig. Nun ist es so weit , dachte sie. Ihr wurde plötzlich bewusst, dass sie mitten ins Herz der Schlacht fuhren. Freya sah die Angst in den bleichen Gesichtern der Schwestern, die mit ihr im Laster saßen. Reiß dich zusammen , sagte sie sich. Ihr brannten die Augen, als ihr der staubige Wind ins Gesicht blies. Adrenalin schoss ihr durch den Körper, als sie über dem Dröhnen der Laster in der Ferne das erste Donnern und die Explosion des Krieges hörte.
4
London, 11. September 2001
Emma sprang vom Bus auf den Gehsteig. Auf den Stufen des Standesamts von Chelsea trieben Rosen- und Goldeschenblätter wie kleine Herzen mit gekreuzten Knochen. In ihrem schwarzen wehenden Mantel bahnte sie sich einen Weg durch die Menge, und die Absätze ihrer polierten braunen Stiefel klackerten, während sie ihren silbernen Koffer mit den
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