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Das Haus der tausend Blueten

Das Haus der tausend Blueten

Titel: Das Haus der tausend Blueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Lees
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dazu jedes Mal nach vorn, wobei sie das kyema kyhud aufsagte, hin und wieder über die Worte stolpernd, die von klingenden Glocken, dröhnenden Becken und den tiefen Stößen eines Horns begleitet wurden. Eine kleine Flamme nach der anderen illuminierte schließlich die wuchtige Goldstatue von Shakyamuni Buddha, die in safranfarbene und sonnengelbe Tücher gehüllt war.
    Die Lampen erweckten das Bildnis allmählich zum Leben – Buddha, der auf einem Lotospostament saß, das mit Blattgold belegt war, während der obere Teil des Throns von vertikalen vajra -Zeptern verstärkt wurde.
    Als Sum Sum die letzte Lampe angezündet hatte, kniete sie sich auf ihren Novizinnenteppich und sah sich ruhig und ohne jede Eile nach Tormam um.
    Tormam war mit der etwas leichteren Pflicht betraut, auf allen Altären die jeweils sieben Schalen Wasser nachzufüllen. Sum Sum zwinkerte dem jungen Mädchen mit dem schüchternen Blick verschwörerisch zu, als dieses seinen Platz neben ihr auf dem Novizenteppich einnahm. Um sie herum bewegten sich die rasierten Köpfe im Gebet vor und zurück wie eine mit einer Feder aufgezogene Spielzeugfigur.
    Später saßen die beiden Gefährtinnen auch im Frühstückssaal nebeneinander. Schüsseln mit tsampa standen aufgereiht auf den langen Holztischen. Alle aßen mit den Fingern.
    »Also, wir sind jetzt schon seit Wochen hier, lah, und noch immer hat uns niemand gesagt, wo wir ein Bad nehmen können. Oder weißt du vielleicht, wo man hier baden kann?«, fragte Sum Sum, während sie mit den Mala -Perlen an ihrem Handgelenk spielte.
    Tormam, die gerade ein Gerstenklößchen kaute, hielt verwirrt inne. »Baden?«
    »Psst!«, ermahnte sie jemand, und alle Neulinge, von denen einige nicht älter als fünfzehn waren, senkten gehorsam die Köpfe.
    Nach dem Frühstück, als sie Räucherstäbchen entzündeten und das Gebetsrad drehten, fragte Sum Sum noch einmal. Tormam sah sie mit demselben verständnislosen Blick an und stellte dieselbe Frage wie zuvor: »Baden?«
    » Rey.« Sum Sum gestikulierte mit ihren Händen, so als würde sie ihre Achselhöhlen einseifen und Wasser über ihren Rücken schöpfen.
    »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    »Gibt es in deinem Dorf denn keinen Fluss oder eine andere Badegelegenheit?«
    »Ich komme aus einer Nomadenfamilie. Wir haben unser Geschäft immer im Freien erledigt. Um uns zu säubern, haben wir unsere Gesichter mit Yakmilch gewaschen. Aber meine Haare durfte ich nie waschen. Meine Mutter sagte, sie würden sonst an meinem Kopf festfrieren.«
    Sum Sum zog in gespieltem Entsetzen die Augenbrauen hoch. »Willst du damit sagen, dass du noch nie gebadet hast, lah ?«
    Tormam sah sie wieder verständnislos an.
    Sie verfielen in Schweigen, betrachteten nachdenklich ihre Hände.
    »Was sollen wir in dieser Sache unternehmen?«
    »In welcher Sache?«, fragte Tormam sichtlich verwirrt.
    »Diesem … diesem Bade-Notstand«, erwiderte Sum Sum, die nicht wusste, wie sie das Ganze sonst nennen sollte.
    »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst, Sengemo. Und jetzt beeil dich. Es ist Zeit für den Unterricht.«
    Am folgenden Morgen stupste Sum Sum Tormam mit dem Ellbogen an, um sie aufzuwecken. Sie selbst hatte die halbe Nacht durch das Fenster des Schlafsaals zur schmalen Sichel des Mondes hinaufgestarrt und versucht, sich etwas einfallen zu lassen. Die anderen Novizinnen hatten alle tief und fest geschlafen und den Schlafsaal mit ihrem Schnarchen erfüllt. Aiyoo! Das ist ja, als würde man mitten in einem Wurf von Ferkeln schlafen, hatte Sum Sum sich insgeheim beklagt.
    »Jetzt weiß ich es«, sagte sie, während sie zusah, wie Tormam sich den Schlaf aus den Augen rieb.
    »Egal, was es ist, behalte es für dich. Ich bin einfach zu müde.«
    »Nein, hör zu. Ich habe einen Plan, lah .« Sie spähte über ihre Schulter, um sicherzugehen, das ihnen auch niemand zuhörte.
    »Einen Plan?«, sagte Tormam in beiläufigem Ton – bis sie Sum Sums begeisterten Gesichtsausdruck bemerkte.
    Sie kleideten sich an und machten sich, gemeinsam mit den anderen Novizinnen, auf den Weg zur Gebetshalle. Dreißig Frauen im Gänsemarsch, die mit nackten Füßen über den Boden tappten. Weihrauch hing schwer in der Luft.
    »Dein Plan, was …«
    » PSSST !«, ermahnte sie Jampa zum Schweigen.
    Mit leiser Stimme fragte Tormam ein paar Sekunden später unsicher: »Was ist das für ein Plan?«
    Wenn sie etwas sagte, sah sie immer so aus, als hätte sie sich geirrt und wollte eigentlich gar nichts

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