Das Haus der tausend Blueten
bis es aussah wie grobe Watte.
Vor der Sonne geschützt versammelten sich Frauen im Schatten des Fünf-Fuß-Wegs auf dem Rückweg vom Morgenmarkt. Sie schimpften laut über die Preise, die dort für Ananas und Seife verlangt wurden, und auch darüber, dass der Zucker noch immer knapp war. Obwohl sich die Wirtschaft in Malaysia zwischenzeitlich von dem Konjunktureinbruch nach dem Koreakrieg erholt hatte, blieben Luxusartikel knapp und teuer. Außerdem herrschte noch immer die Angst vor einer Inflation.
Am nahe gelegenen See unweit der roten Moschee fand gerade ein Drachenfest statt. Lu See hörte das Quietschen und Lachen der aufgeregten Kinder. Sie trank einen Schluck aus einem Fläschchen mit Magnesiamilch und trat von der Schwelle ihres Restaurants in die dampfende Hitze, die über der Stadt lag. Ein muslimischer zakat -Sammler hatte am Straßenrand einen Tisch aufgebaut, um die im Koran vorgeschriebene obligatorische Spende für die Armen einzusammeln. Es standen bereits mehrere Leute an, um ihre Abgabe vor Hari Raya zu bezahlen. Hinter ihm wurde, gleich neben einem »Trinkt Milo«-Reklameschild, gerade ein Plakat an die Wand geklebt. Darauf stand:
BELOHNUNG
Jeder, der mit den Behörden zusammenarbeitet und Informationen über die kommunistischen Guerillas und Gangster liefert, erhält eine stattliche Belohnung.
Nützliche Informationen BRINGEN BARGELD .
Während Lu See ihren finsteren Gesichtsausdruck zu unterdrücken versuchte, bemerkte sie an der Straßenecke einen Rattankorb. Sie ging hinüber und nahm ihn an sich. Vielleicht konnte sie ihn eines Tages noch gebrauchen, sagte sie sich.
Kurz darauf ratterte ein gepanzerter Polizeiwagen mit einem großen Magnavox-Lautsprechersystem auf dem Dach an ihr vorbei. Eine auf Tonband aufgezeichnete Ansage verkündete plärrend, dass die Bürger aufgefordert seien, bekannte Kommunisten und ihre Anhänger den Behörden zu melden.
Im Restaurant läutete das Telefon. Lu See ignorierte es. Sie hoffte schon lange nicht mehr, dass Mabel sie anrufen würde. Da sie grundsätzlich keine Reservierungen annahm, kam es ohnehin recht selten vor, dass jemand versuchte, sie auf diesem Weg zu erreichen.
»Wai-eeee!«, brüllte ein alter Mann im Inneren des Restaurants. Der alte Fishlips Foo, der ehemalige Kämpfer der MPAJA , jener Widerstandsbewegung, die gegen die Japaner gekämpft hatte, war inzwischen achtzig Jahre alt. Er nahm jeden Tag auf demselben Stuhl Platz, und dort saß er dann von zehn Uhr morgens bis sechs Uhr abends. Wenn er nicht gerade seine Suppe schlürfte oder wie ein Feldwebel Befehle schrie, war der alte Fishlips damit beschäftigt, sich an den Beinen zu kratzen und laut vor sich hin zu rülpsen, während er sich über seine längst verstorbene Frau beschwerte. Beinahe ebenso lästig war, dass er anderen Leuten ständig auf den Teller starrte – und dabei handelte es sich nicht nur um einen kurzen beiläufigen Blick, vielmehr fand jedes Mal eine genaue Inspektion statt. Erst wenn um sechs Uhr seine Tochter kam, um ihn abzuholen, kehrte im Restaurant ein wenig Ruhe ein.
Der Alte erfüllte jedoch eine sinnvolle Aufgabe. Wann immer das Telefon klingelte, nahm Fishlips, der in der Nähe des Telefons saß, mit einem gellenden »Wai-eeee!« den Hörer ab und begann dann lauthals über den schrecklichen Zustand der Welt zu schimpfen – sehr zur Verwunderung des Anrufers.
Lu See spürte eine Welle der Übelkeit in sich aufsteigen und wandte sich von der Straße ab. Sie griff in die Tasche ihres samfoo, einem seidenen Anzug, bestehend aus einer Hose und einer kurzärmligen Bluse, und nahm einen kleinen Sprühflakon aus Kristall heraus. Der Flakon enthielt Rosenwasser, das sie sich aufs Gesicht sprühte. Als das keine Wirkung zeigte, tupfte sie etwas Tigerbalsam auf ihre Stirn. Dann betrat sie das Il Porco und setzte sich in eine Ecke des Restaurants, wo sie sich mit Magnesiamilch und luftigem Weißbrot, das sie in Kohlsaft getunkt hatte, Linderung zu verschaffen suchte.
Während sie in der einen Ecke saß, beobachtete sie Old Fishlips in seinem Baumwollunterhemd, der sich in der gegenüberliegenden Ecke des Raums gerade einmal wieder die Beine kratzte.
»Wie ist die Suppe heute, Mr Foo?«, fragte Lu See und lächelte das mit Leberflecken übersäte Gesicht freundlich an.
»Zu heiß! Sie versuchen immer, mich zu verbrühen.«
Lu See berührte mit dem Handgelenk ihre Stirn. »Pusten Sie einfach, dann wird sie schon abkühlen. Ach übrigens, wer war denn am
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