Das Haus der tausend Blueten
Sir!«
Stan mochte diesen Bezirk nicht. Die Old Pudu Road und ein paar weitere Straßen waren eine wahre Brutstätte für Spione, Informanten und Doppelagenten. Spione. Bei diesem Wort musste er an Mabel denken. Er erinnerte sich noch gut an den Tag, an dem sie spurlos verschwunden war.
Er hatte an jenem Nachmittag gerade im Il Porco beim Essen gesessen, als Mabel angerufen hatte, um ihrer Mutter zu sagen, dass sie nicht mehr nach Hause kommen würde.
»Was soll das heißen, du kommst nicht mehr nach Hause?«, hatte Lu See gefragt und dabei sehr aufgeregt geklungen.
»Es ist wegen Bong. Er möchte mich in seiner Nähe haben.« Mabels Stimme, das hatte Lu See später erzählt, hatte sich vollkommen ruhig angehört.
»Du kannst doch hier mit ihm zusammen sein. Du musst doch nicht gehen. Warum musst du gehen?«
»Weil ich das will.«
»Das verstehe ich nicht.«
Stan erinnerte sich an die Angst, die plötzlich Lu Sees Blick verschleiert hatte. Was ist passiert?, hatte er sie fragen wollen, es dann aber doch nicht getan.
Nachdem sie den Hörer langsam auf die Gabel gelegt hatte, hatte sie ihm gesagt, dass Mabel sich den Kommunisten angeschlossen hätte. Den Rest des Tages hatte sie dann, den Kopf in den Händen vergraben, einfach nur stumm da gesessen.
Stan wischte sich über die Stirn und ließ seinen Blick langsam über die Straßen vor ihm wandern. Eine kleine Gruppe von Schwestern aus der St John Ambulance wartete vor dem Postamt. Die Mädchen standen neben der Barriere aus Stacheldraht und rauchten. Stan atmete tief durch und kletterte auf die Haube eines gepanzerten Mannschaftswagens, um sich einen besseren Überblick über die Menge zu verschaffen, die von der Sultan Street herbeiströmte. In der Ferne erkannte er die riesigen Reklametafeln des Rex Cinema. Er griff in seine Tasche und nahm ein Bonbon heraus. Er schob sich das Caramel Bullet in den Mund und hielt dann, die Arme in die Seiten gestemmt, weiter Ausschau. So wie er dastand, hätte man ihn durchaus für Robert Mitchum in Die Nacht des Jägers halten können.
Er drehte sich um und sah auf das Gedränge, das sich an den Grenzen des padang gebildet hatte. Eine Gruppe von Frauen mit Papierfächern trank Green Spot. Sie hatten Strohhalme in ihre Flaschen gesteckt. Ihre Gesichter strahlten vor Freude. Wenige Augenblicke später hörte er laute Rufe. Zwei Sikh-Polizisten waren gestürzt, als sie einem Chinesen auf einem Fahrrad hinterhergerannt waren. Er hatte seine lan gen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Über die Kreuzung rasend hielt er mit seinem Fahrrad direkt auf die Polizeikette zu. Stan sah, wie er schlitternd zum Stehen kam, sich mit einem in Sandalen steckenden Fuß auf der Straße im Gleichgewicht hielt, eine Pistole aus seinem Gürtel zog und damit direkt auf Stans Gesicht zielte.
Noch bevor Stan reagieren konnte, drückte der Mann ab.
5
Gegen zehn Uhr am nächsten Morgen brodelte an der Ecke Macao und Hokkien die Gerüchteküche.
»Habt ihr schon von dem Mordversuch an dem Polizeiinspektor gehört? Ja, der mit dem Pferdegebiss! Es ist nicht zu fassen − lah ! Was für ein verdammtes Glück der Kerl gehabt hat! Ich habe gehört, dass die Pistole eine Ladehemmung hatte, ansonsten wäre er jetzt mausetot und würde sich die Radieschen von unten ansehen. Was mit dem Schützen passiert ist? Der konnte entkommen, lah . Ist im Zickzack in die Menge gelaufen, und schon war er wie vom Erdboden verschluckt!«
Lu See lauschte dem Gerede und dem Tratsch mit tiefer Dankbarkeit im Herzen. Sie sprach ein stilles Gebet und bat darum, dass der Täter nicht noch einen weiteren Mordanschlag auf Stan unternehmen würde.
Sie sah auf ihre Armbanduhr und ließ ihren Blick dann langsam die Macao Street entlangwandern. Es schmerzte sie noch immer, dass sie Adrians Uhr nicht mehr an ihrem Handgelenk spürte, aber sie den Woos zurückzugeben war für die Versöhnung von großer Bedeutung gewesen.
In der Straße wimmelte es von Schustern, Barbieren und Kesselflickern, die allesamt mit uralten Werkzeugen arbeiteten. Straßenhändler schoben ihre Karren vor sich her, betätigten dabei immer wieder ihre Gummihupen. Kleine indische Jungen gingen von Tür zu Tür, sprangen über die Abwasserkanäle, gingen mit Hindu-Kinozeitschriften und Songpostern hausieren, und da das Hari-Raya-Fest unmittelbar bevorstand, bereiteten die serunding -Standbesitzer eifrig riesige Mengen von fein gehacktem Fleisch zu, das sie stundenlang über kleiner Flamme trockneten,
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