Das Haus der tausend Blueten
heraufschallen.
… die wahrscheinlich irgendwann einmal den Tod einer dieser alten Damen in der Großstadt sterben würde, allein in ihrem Zimmer, von irgendeinem schweren Gegenstand erschlagen, erst nach vielen Wochen gefunden, wenn der Gestank so schlimm wurde, dass er auch auf der Straße unten wahrzunehmen war …
Lu See musste über ihre eigene Verdrießlichkeit lächeln.
Sie ging die Treppe hinunter und schob das Eisengitter mit einem Ruck nach oben.
Der Mann mit dem Filzhut drehte sich bei diesem Geräusch um. Sein Hut saß schräg auf dem Kopf, verbarg sein Gesicht. Als er sie sah, stellte er sich so breitbeinig hin wie Gary Cooper in High Noon, die Hände lässig an den Seiten, und bewegte dabei seine Finger, als wolle er gleich einen Revolver ziehen.
Als Erstes fiel ihr eine geradezu päpstlich anmutende Menge von Ringen an seinen Händen auf. Ein leuchtendes rosafarbenes Taschentuch wallte wie ein riesiger Blumenstrauß aus seiner Brusttasche, raschelte in der nächtlichen Brise. Dann hob er eine Hand und nahm seinen Hut ab. Eine gewaltige Stirn kam zum Vorschein.
»Brah-haaa!«
Seine Zähne glänzten wie silberne Lira-Münzen.
»Pietro!«, schrie Lu See. Sie rannte auf ihn zu und drückte ihn fest an sich. »Bist du es wirklich?«
»Oh, meine liebe Lausie. Es ist so wunderbar, dich zu sehen!«
Er gab, den Kopf in den Nacken geworfen, ein lautes, herzhaftes Lachen von sich.
»Was in aller Welt machst du denn hier in Malaysia?«
»Was ich hier mache? Ich bin der neue italienische Botschafter, du Dummerchen. Und der italienische Botschafter hasst nichts mehr, als versetzt zu werden. Die letzte Person, die mich versetzt hat, war dieser hübsche Botaniker im zweiten Jahr am Caius.« Er fuhr sich demonstrativ mit dem Handrücken über die Stirn. »Als du nicht aufgetaucht bist – quelle horreur! Also habe ich mich, nachdem der Empfang vorbei war, in meinen kleinen Fiiii-at geschwungen und Abrakadabra, Simsalabim, schon bin ich hier!«
»Ich glaub’s nicht«, keuchte Lu See und hüpfte dabei vor Freude auf und ab. »Ich glaub es einfach nicht, dass du hier in Kuala Lumpur bist!«
»Ich weiß! Man hat mich zuerst an fürchterliche Orte geschickt, wo ich nur dämlichen Fatzkes begegnet bin. Orte, wo die sogenannte ›Elite‹ ihr Messer beim Essen wie einen Bleistift hält und Tee aus der Untertasse trinkt. Aber du weißt ja, was man sagt.« Er glättete sich mit einem beringten Finger die Brauen. »Vom Reisen bekommt man einen breiten Hintern.«
Lu See umarmte ihn noch einmal. »Kommst du rein?«
»Eigentlich, liebe Lausie, hatte ich eher an ein spätes Abendessen im Fatty Crab’s gedacht. Ich bin nämlich am Verhungern. Du weißt ja, wie das ist. Auf seinem eigenen Empfang kommt man so gut wie nie zum Essen.«
»Ich kann dir doch auch hier etwas kochen. Magst du Curry-Nudeln?«
Pietro sah sie entsetzt an. »Davon muss ich immer furzen wie ein römischer Kaiser. Nein, Fatty’s oder gar nichts. Abgesehen davon freue ich mich schon den ganzen Abend auf ein Glas ihres Château de Coques Roche.«
»Aber ich bin dafür nicht passend angezogen, schau dir meine Haare an …«
»Du hast auch kein Rouge aufgelegt, nicht wahr? Mach dir keine Gedanken, kneif dir einfach in die Wangen, das gibt Farbe und …« Er nahm das Satinband von seinem Filzhut ab, band es zu einer Schleife für ihre Haare und lächelte sie an. »Tra-raa! Und schon ist Cinderella fertig für den Ball. Es ist einfach wunderbar, wenn man ein Mädchen ist, nicht wahr?«
Das Fatty Crab’s befand sich in der Nähe der Rennbahn, zehn Minuten mit dem Auto entfernt. Lu See, die eingekeilt zwischen einem Nashornvogel und Pietro auf dem Beifahrersitz saß, kam sich ein wenig wie ein Hering in der Dose vor.
Pietro zeigte lächelnd seine Zähne. »Sein Name ist Hartley. Er ist ein Geschenk des Sultans von Selangor.«
»Er beißt doch nicht etwa?« Sie beobachtete argwöhnisch die roten Augen des Vogels und seinen großen Schnabel mit dem wulstigen Aufsatz.
»Nein, aber er hat einen bissigen Humor. Pass auf, dass du ihm mit deiner Nase nicht zu nahe kommst, er könnte sie für eine Palmnuss oder ein Cocktailwürstchen halten. Da wir schon von Würstchen sprechen: Gibt es Neuigkeiten von meiner Lieblingstibeterin, Sum Sum? Ich nehme an, dass du ihr altes blaues Rezeptbuch hast wiederaufleben lassen.«
Lu See kniff verzweifelt die Augen zu. Sie hatte den größten Teil des vergangenen Tages damit verbracht, mit der chinesischen
Weitere Kostenlose Bücher