Das Haus der tausend Blueten
Botschaft zu telefonieren. Wieder einmal hatte man ihr die Einreisegenehmigung nach Tibet verweigert.
»Ihr Bruder Hesha lässt mir gelegentlich eine Nachricht zukommen. Er dient in einem Gurkha-Regiment. Aus seinen Briefen weiß ich, dass sie bei guter Gesundheit ist und in einem tibetischen Nonnenkloster lebt.«
»Geh in ein Kloster!«, bellte Pietro, sodass Hartley erschrocken mit den Flügeln flatterte. »Oh, wie ich doch meinen Hamlet liebe!«
»Ich würde alles geben, um sie wiederzusehen.«
Sie fuhren am Sikh-Tempel in der Bandar Road vorbei, dort wo in trockenen Nächten fromme punjabis, aus dem Norden Indiens stammende Männer, in den Gärten schliefen. Ein Stück weiter blockierte ein Bauer mit seinem Wasserbüffel die Fahrbahn. Sie mussten warten, bis er das Tier, das ein Netz voller Ananas auf den Rücken trug, über die Straße geführt hatte. Pietro hupte ungeduldig, was ihm einen tadelnden Blick von Lu See einbrachte.
»Ich habe gehört, dass Mabel sich den Kommunisten angeschlossen hat«, sagte er plötzlich.
»Woher weißt du das?«
Sie spürte, wie ihre Wangen zu brennen anfingen.
»Ach, das übliche diplomatische Geschwätz. Mit ein wenig Raffinesse kann man fast alles in Erfahrung bringen.« Er hielt die Augen auf die Straße gerichtet. »Ist schon komisch, dass Adrian ein Kommunist war und Mabel jetzt in seine Fußstapfen tritt. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich Adie vermisse. Er war ein wunderbarer Mensch. Hör zu, du solltest alles dafür tun, dass Mabel so bald wie möglich aus dem Dschungel kommt, Schätzchen. Der britische Geheimdienst hat einen ganz speziellen Funkempfänger konstruiert, einen, der angepeilt werden kann.« Er hielt inne. Lu See schwieg. »Wenn die Guerillas das Gerät einschalten, sendet es ein Signal, eine Art Funkfeuer, das von Flugzeugen aufgefangen werden kann. Wenn sie den Standort erst einmal geortet haben, werden sie dort alles ins Jenseits bombardieren. Sie machen keine Gefangenen.«
Lu See blieb bei diesen Worten fast das Herz stehen.
Am folgenden Abend schloss Lu See das Restaurant wie üblich um 23 Uhr und zog mit einer Stange das eiserne Rollgitter auf der Vorderseite herunter. Dank der fünf Whisky stengahs , die sie mit Pietro im Fatty Crab’s getrunken hatte, hatte sie den größten Teil des Tages mit ihrem gehörigen Kater verbracht.
Lu See massierte ihre Nasenwurzel und ging in Gedanken noch einmal ihre Unterhaltung mit Pietro durch. Sie hatte ihm gesagt, wie Stan sie getäuscht hatte.
»Wie konnte er nur? Wie konnte er mir das nur antun?«, hatte sie laut geschluchzt.
»Vielleicht hat er es nicht gewusst.«
Pietro hatte mit den Schultern gezuckt.
»Es nicht gewusst? Natürlich wusste er es! Er hat mich die ganzen Jahre über belogen. Er hat so getan, als wäre er mein Freund!«
Sie hatten bis in die frühen Morgenstunden miteinander geredet, bis die Pappadums, die dünnen indischen Fladen aus Linsenmehl, und die Zigaretten in der schwülen Nachtluft feucht geworden waren. Nichts von dem, was Pietro gesagt hatte, hatte sie jedoch zu trösten vermocht.
Am Vormittag war sie dann in die Klyne Street geeilt, um mit dem Maultier zu sprechen, stellte aber fest, dass die schmale Tür des Friseurgeschäfts mit Brettern vernagelt worden war. Die Nachbarn sagten ihr, dass die Polizei den Eigentümer verhaftet habe. Dann rief sie Stan an, aber bei ihm zu Hause hob niemand ab, und als sie versuchte, ihn unter seiner Büronummer zu erreichen, sagte man ihr, dass er nicht im Hause sei.
Als Pietro sie dann später am Tag noch einmal besuchte, um sie zu trösten, war sie völlig außer sich.
»Was soll ich nur tun?«, fragte sie ihn voller Verzweiflung.
Er nahm sie in die Arme. »Es gibt nichts, was du jetzt noch tun könntest. Am besten, du regst dich nicht auf. Du siehst ein wenig kränklich aus. Du brauchst Ruhe.«
»Ich habe ihr Todesurteil unterschrieben, Pietro. Ich habe meine eigene Tochter getötet!«
»Geh nach oben und ruh dich aus. Versprichst du mir, dass du dich hinlegst und ein bisschen schläfst?«
Sie hatte genickt.
»Möchtest du, dass ich bei dir bleibe?«, hatte er ihr angeboten.
»Nein. Ich komme schon klar.«
Dann hatte sie zugesehen, wie Pietro in seinen Fiat gestiegen und davongefahren war.
Als sie jetzt die Treppe hinaufging, warteten die Hunde schon ungeduldig auf ihr Futter. Sie schaltete den Deckenventilator ein, hängte ihre Schürze an den Haken an der Tür und füllte die Näpfe mit Speiseresten. Dann
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