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Das Haus der tausend Blueten

Das Haus der tausend Blueten

Titel: Das Haus der tausend Blueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Lees
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aus massivem Gold und eine Statue von Harit Tara aus dem 15. Jahrhundert, ebenfalls aus massivem Gold und mit eingelegten Rubinen verziert. Es waren die beiden heiligsten Besitztümer des Nonnenklosters.
    Die Äbtissin lächelte Tormam an. »Innerer Friede und Stärke seien mit dir.«
    Am folgenden Tag brachen in Lhasa erste Kämpfe aus. Ein Bataillon von dob-dobs – Mönchssoldaten – mit roten Armbinden und rußgeschwärzten Gesichtern griff eine chinesische Streife an. Als Waffen dienten ihnen Speere und Schustermesser. Sie wurden von Hunderten von Steine werfenden Demonstranten, die für den Dalai Lama eintraten, unterstützt. Daraufhin griff eine Kompanie chinesischer Soldaten ein. Als die Demonstranten auch sie mit Steinen bewarfen, feuerte die Armee in die Menge. Die Menschen fielen wie Blütenknospen nach dem ersten Frost.
    Die Militärverwaltung verhängte eine nächtliche Aus gangssperre. Als dies auch keine Ruhe brachte, beschossen die Chinesen den Sommerpalast des Dalai Lama mit Granaten und setzten ihn in Brand. Das Feuer griff auf die nahegelegenen Gebäude über. Viele hundert Menschen starben in den Flammen.
    Sum Sum konnte das brennende Fleisch riechen. Die chinesischen Truppen verbrannten den ganzen Tag über in der Bankhor Street die Leichen, warfen schlaffe verkohlte Körper auf den riesigen Scheiterhaufen.
    Jampa und die Äbtissin gingen, tief in ein Gespräch versunken, mit nackten Füßen über den Hof.
    »Worüber haben sie gesprochen?«, fragte Sum Sum ein wenig später Tormam. Sie spielte an ihren Mala- Perlen herum.
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte ihre Freundin. »Sie sind in Jampas Büro gegangen und haben die Tür hinter sich geschlossen. Aber ich habe deinen Namen gehört.«
    »Meinen Namen?«
    »Hast du irgendetwas falsch gemacht?«, fragte Tormam.
    Sum Sum schüttelte den Kopf.
    »Also, ich glaube, sie wollen mit dir sprechen.«
    Die Äbtissin verkündete mit bebender Stimme: »Der Dalai Lama ist geflohen. Die Tore des Himmels haben sich geschlossen.«
    Sum Sum und Tormam standen mit ehrfürchtig gesenkten Köpfen im Büro der Gebetshallenleiterin. Die Äbtissin war den Tränen nahe. Ihre Worte lösten entsetztes Schweigen aus.
    Jampas Mund wurde zu einem schmalen Strich. Schließlich sagte sie, sichtlich um Fassung bemüht: »Die Äbtissin und ich haben eine Entscheidung getroffen.« Sie starrte jetzt auf ihren Schreibtisch, legte ihre Hände auf dessen Platte, ballte sie schließlich zu Fäusten. »Wir sind der Überzeu gung, dass die Situation in Tibet noch schlimmer werden wird. Deshalb müssen wir unsere Heiligtümer in Sicherheit bringen. Die Chinesen werden wieder und wieder in unser Kloster kommen, und eines Tages werden sie sie finden. Sie werden sie finden und zerstören.«
    Sie zog eine Schriftrolle auseinander. Es war eine alte handgezeichnete Karte von Tibet und Bhutan.
    »Wir glauben, dass das der Weg ist, den der Dalai Lama genommen hat. Der Weg ist tückisch und kräftezehrend und …«
    »Und …?«, drängte Sum Sum.
    »Wir hegen die Hoffnung, dass du und Tormam dem Dalai Lama folgen werdet. Gebt unser geheiligtes goldenes Bildnis von Shakyamuni Buddha und unsere geliebte Harit Tara in die Hände seiner Heiligkeit.«
    Sum Sum hörte zwar die Worte, wusste aber nicht, was sie darauf erwidern sollte.
    »Werdet ihr diesen schweren Weg für unser Kloster auf euch nehmen?«, bat die Äbtissin sie flehentlich.
    »Warum ausgerechnet wir beide?«, fragte Sum Sum.
    »Weil ihr jung und loyal seid. Und ihr beide habt euch schon oft als außerordentlich einfallsreich erwiesen«, fügte die Äbtissin mit einem schwachen Lächeln hinzu.
    »Wenn auch als ein wenig aufsässig«, ergänzte Jampa.
    »Es hat eine gewisse Zeit gedauert, bis wir dich zu schätzen gelernt haben, Sengemo, aber jetzt wissen wir, was wir an dir haben. Du hast zwar einen eigenwilligen Charakter, aber du besitzt auch ein reines Herz. Wir vertrauen dir.«
    »Werdet ihr es für das Kloster tun?«, fragte Jampa.
    Sum Sum und Tormam wechselten einen Blick.
    »Ja. Natürlich werden wir das.«
    » Ndug’re. Okay.«
    »Aber wie sollen wir das anstellen?«, fragte Tormam.
    »Ihr werdet zu Fuß gehen müssen«, erwiderte die Äbtissin.
    »Zu Fuß gehen?«
    »Nach Indien?« Sum Sum kroch ein Schauer über den Nacken.
    »Ja, nach Indien«, bestätigte Jampa mit entschlossener Stimme. Einen Moment lang völlig vergessend, dass die Äbtissin im Raum war, nahm sie eine Prise Schnupftabak aus ihrem Behälter aus Yakhorn

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