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Das Haus der tausend Blueten

Das Haus der tausend Blueten

Titel: Das Haus der tausend Blueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Lees
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zum Abschied noch einmal zu und deuteten dann auf die fernen Berge.
    »Von jetzt an gehen wir zu Fuß. In diese Richtung«, sagte Sum Sum zu Tormam. »Einer der Männer hat gesagt, dass wir zuerst nach einer großen Höhle Ausschau halten sollen, die wie das Maul eines Stiers geformt ist. Dann sollen wir Richtung Süden auf eine doppelte Bergspitze zugehen.«
    Sie erreichten das Grasland. Sum Sum stellte fest, dass der Boden unter ihren Füßen weich und feucht war. Er unterschied sich sehr von der harten, brüchigen Erde in der Umgebung des Klosters.
    Allmählich stiegen sie wieder auf höher gelegenes Terrain. Der grüne Bewuchs wurde zu kargen Stoppeln, dann wurde der Grund felsig, und schließlich lag Schnee. Die Luft wurde immer dünner, und die Temperatur fiel. Mit gesenktem Blick, die Köpfe gebeugt, so als würden sie die Stiefel an ihren Füßen betrachten, quälten sie sich den Bergpfad hinauf. Hin und wieder warfen sie einen Blick nach oben, um sich am Stand der Sonne zu orientieren. Manchmal rammte Sum Sum auch einen Stock aufrecht in den Boden, wartete dann mehrere Minuten und beobachtete dabei, wie der Schatten wanderte.
    »Haben wir uns verlaufen?«, fragte Tormam.
    »Nein«, beruhigte sie Sum Sum.
    Sie kamen zu einer Schlucht, über die eine einfache Seilbrücke führte. Sum Sum starrte die Brücke an. Alles, was sie sah, waren drei Seile, eines für die Füße und eines für jede Hand.
    »Ich hoffe, du bist eine gute Seiltänzerin, lah «, sagte sie zu Tormam, die in den tiefen Abgrund hinunterstarrte. Dort unten war nichts als die Ewigkeit.
    Sum Sum schob Tormam vorwärts. »Komm schon, lah, wir müssen uns beeilen. Es wird schon bald dunkel.«
    »Ich habe Höhenangst«, gab Tormam zu.
    »Willst du, dass ich vorausgehe?«
    Tormam nickte.
    Sum Sum rückte die Taschen auf ihren Schultern zurecht und griff nach den Tauen für die Hände. Sobald sie einen sicheren Griff hatte, trat sie auf das Seil für die Füße. Aus den Sohlen ihrer Stiefel lösten sich kleine Steinchen, die in die Schlucht hinabfielen. Schon kurz darauf begann die Brücke beängstigend zu schwingen. Als sich die Seile wieder stabilisiert hatten, machte sie vorsichtig ein paar weitere Schritte, wobei sie sich angestrengt darauf konzentrierte, ihren Kopf ruhig und aufrecht zu halten.
    »Lass bloß nicht los!«, rief Tormam.
    »Du mit deinen tollen Ratschlägen!«
    Sum Sum hatte sich fest vorgenommen, nicht nach unten zu sehen, dann aber wurde ihr bewusst, das sie ebendas tun musste, um ihre Füße sicher auf das Tau setzen zu können. Als sie die halbe Strecke hinter sich gebracht hatte, begannen die Seile wieder zu schwingen. Sie versuchte dem entgegenzuwirken, lehnte sich dabei jedoch zu weit nach links und kam aus dem Gleichgewicht. Ihr rechter Fuß ging nach oben und ruderte in der Luft herum. Tormam kreischte. Sum Sum gelang es, sich wieder zu fangen. Sie richtete sich auf und wartete, dass die Seile sich beruhigten.
    »Der Trick ist, sich Zeit zu lassen«, rief sie Tormam zu.
    »Ich dachte schon, du stürzt ab!«
    Sie sah in die Schlucht, die über hundert Meter in die Tiefe führt. »Wenn du dich erst einmal daran gewöhnt hast, ist es ganz leicht.«
    Zehn Minuten später standen sie beide sicher auf der anderen Seite. Tormam war jedoch aschfahl, und ihre Hände zitterten heftig.
    »Komm, wir gehen zurück und machen es noch mal, lah «, feixte Sum Sum. »Herrlich aufregend, nicht wahr?«
    Tormam boxte ihr gegen den Oberarm.

12
    Das Zenith-Radio plärrte so laut, dass die Fensterscheiben klirrten. Lu See und Mabel saßen im Garten. Hinter einem dicken Eisblock drehte sich ein Ventilator und blies ihnen kühle Luft ins Gesicht. Wie gewöhnlich hingen Tischtücher zum Trocknen auf den Wäscheleinen. Waschbretter lehnten an den Mauern. Die Hunde hatten sich im Schatten unter den Bäumen vor der Nachmittagssonne verkrochen. Vom Grundstück der Nachbarn schallten die Rufe nach »Younis!« und »Yasmine!« herüber.
    »Hier eine Übersicht über die internationalen Schlagzeilen vom 20. November 1960: Präsident Dwight D. Eisenhower bewilligt eine Million US -Dollar für die Ansiedlung kubanischer Flüchtlinge in Florida. Der südvietnamesische Präsident Diem überlebt einen weiteren Putschversuch. Das Begräbnis des Schauspielers Clark Gable findet in Hollywood statt …«
    Lu See gestattete sich angesichts der Nachricht von Clark Gables Beerdigung ein kurzes Innehalten in ihrer Arbeit, bevor sie wieder die Schere in die Hand nahm.

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