Das Haus der tausend Blueten
die Mütze eines Soldaten, riss sie ihm vom Kopf.
Dies war jedoch nur ein Ablenkungsmanöver. Tormam, deren Brustkorb sich unter ihren Atemzügen heftig hob und senkte, wusste, was jetzt zu tun war. Sie verschwand mit raschelndem Gewand unbemerkt im Gebäude und rannte dann zum Gebetssaal.
Die Lippen der Äbtissin schlossen sich wie ein Fächer, den man mit einer Bewegung zugeklappt hat, und verzogen sich dann zu einem Lächeln, als Sum Sum drei weitere Eier warf. Bevor sie jedoch wieder in ihren Korb greifen konnte, hatte der Offizier sie am Kinn gepackt und umklammerte ihren Unterkiefer. Ihr Kiefergelenk gab unter dem Druck ein leises Knacken von sich. Er kam mit seinem Gesicht ganz nah an das ihre heran, fuhr mit einem Fingerknöchel über ihre Wangenknochen. Sie war überzeugt, dass er hören konnte, wir ihr Herz hämmerte. Als sie sich sträubte, lockerte er seinen Griff, und sie entwand sich ihm.
Der Geruch von rohem Knoblauch stieg ihr in die Nase. Er drang dem Offizier aus allen Poren. Sein Atem war unerträglich. Sie drehte den Korb um, und die restlichen Eier fielen auf seine Stiefel.
»Wir sollten Ihren Atem in Flaschen abfüllen, lah . So etwas darf keinesfalls verschwendet werden.«
Er zeigte seine Zähne. Es sah aus, als beabsichtige er, sie in die Brüste zu beißen.
»Davon stehen einem ja die Haare zu Berge!«
Völlig unerwartet legte der Offizier den Kopf in den Nacken und begann schallend zu lachen. Sum Sum fand, dass er lachte wie der verrückte Captain Bligh oder der Pirat Blackbeard. Sie machte sich darauf gefasst, dass er ausholen würde, um ihr mit einem einzigen heftigen Schlag die Nase zu brechen. Sie starrte ihn herausfordernd an und wartete.
Als er sich stattdessen von ihr entfernte, entfuhr ihr ein hörbares Seufzen. Erleichtert presste sie die Hand auf ihren Solarplexus.
Der Offizier hakte seine Daumen in den Gürtel ein und sagte, das Kinn in die Luft gereckt: »Unser großer Führer und Erneuerer, der Vorsitzende Mao Tse-tung, sagt, dass Religion Gift für das Volk ist. Aus diesem Grund wird unser Mineraloge« – er trat zur Seite, um einem kleineren Mann Platz zu machen, während er mit dem Finger in Richtung Gebetssaal zeigte – »Kamerad Suen alle Buddha-Statuen von ihren Steinen befreien. Danach werden unsere Fachleute für Metall eine Liste aller Gegenstände aus Messing, Kupfer, Silber und Gold erstellen. Jedes Ritualobjekt wird beschlagnahmt und in einer Gießerei eingeschmolzen. Wenn die Männer kommen, rate ich euch dringend, sie freundlich zu empfangen und ihnen Tee und tsampa anzubieten.«
Jawohl, dachte Sum Sum. Ich werde ihnen tsampa vorsetzen. Tsampa aus Maultierdung. Mögen die zornigen Götter des Bardo Thodol ihr Blut trinken.
Der Offizier und der Mineraloge fanden Tormam, als sie gerade eine Bronzestatue von Buddha Akshobhya in einen Korb mit frisch gewaschenen Gewändern stopfte.
Sie versetzten ihr mehrere Ohrfeigen und begannen dann, die Räume einen nach dem anderen zu durchsuchen. Als Erstes nahmen sie sich den Gebetssaal vor. Sie rissen die Bodendielen heraus, zertraten rituelle Glocken und vajras mit dem Fuß und schlitzten die Novizenteppiche auf. Sie schlugen Bretter aus den Regalen, die daraufhin mit einem lauten Knirschen in sich zusammenbrachen, ein Geräusch, als würde jemand Reispapier in seiner Faust zerknüllen. In der Küche leerten sie die Säcke mit Rüben aus und wühlten in den Kisten mit Tee herum. Der diensthabende Offizier beäugte die Kessel mit heißer Suppe. Sie fanden eine weitere Bronzestatue in einem Fass mit Yakbutter. Der Offizier, der jetzt zufrieden war, nahm sich einen Holzlöffel und tauchte ihn in den Kessel mit heißer Suppe.
»Bah! Schmeckt ja widerlich.« Er zog eine Grimasse. »Also, ich verlange, dass alles katalogisiert wird. Die Liste werde ich dann persönlich den Metallfachleuten aushändigen. Wenn in der Zwischenzeit irgendetwas verloren gehen sollte, ist hier der Teufel los.«
Sobald sie gegangen waren, nahm Jampa Tormam beiseite. Ihre Oberlippe war aufgeplatzt. »Wie geht es dir?«
Tormam gab ihr keine Antwort. Stattdessen nickte sie stumm und führte Jampa und die Äbtissin in die Küche zu dem Kessel mit heißer Suppe. Mit einem hölzernen Paddel fischte sie zwei große Beutel aus Ziegenleder heraus und legte sie auf einen Arbeitstisch. Nachdem sie ihre Finger mit einem Stück Tuch umwickelt hatte, löste sie die Riemen. Zwei kostbare Statuen kamen zum Vorschein – ein Bildnis von Buddha Shakyamuni
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