Das Haus der tausend Blueten
Schild hoch in die Luft, auf dem Willkommen zu Hause, Albert stand.
»Siehst du ihn? Ist Adrian gekommen?«, fragte Lu See aufgeregt.
» Aiyoo! Ich kann ihm nicht sehen. Wahrscheinlich steht er noch vor Spiegel und kämmt sich Haare, lah .«
»Er muss da sein! Er hat mir geschrieben, dass er uns hier abholen wird. Ich habe ihm das Datum unserer Ankunft telegrafiert.«
Sie blickten in jedes Gesicht, aber von Adrian war weit und breit nichts zu sehen. »Komm, er wartet bestimmt draußen.«
Sie eilten durch den Haupteingang und blieben vor den Lagerhäusern am Kai auf der Straße stehen. Über ihnen schrien die Möwen. Vor einer Baracke drängte sich eine Schar von Hafenarbeitern. Laut nach Arbeit rufend hielten sie dem Schauermann ihre schwarzen Bücher entgegen, während dieser »Vortreten!« brüllte und die Männer auswählte, die er für den heutigen Tag brauchte.
»Brrr! Ist das kalt hier, lah ! Als würde man Gesicht in Würfeleis stecken!«
Die Straßen waren grau und nass. Felixstowe wirkte, im Gegensatz zu den Dörfern in den Tropen mit ihrer saftigen Farbenpracht, blass und farblos, fast wie mit Mehltau überzogen.
»Da ist er ja!«, rief Sum Sum.
Lu See spürte, wie ihre Knie plötzlich weich wurden.
Adrian warf seinen mit Seide gefütterten, weichen Filzhut in die Luft und rannte auf Lu See zu. Er fasste sie um die Taille, hob sie hoch und wirbelte sie herum.
»Du siehst wunderschön aus«, flüsterte er in ihr Haar.
Sie hatte ihn so sehr vermisst, dass ihr die Brust vor plötzlich auflodernder Sehnsucht nach ihm wehtat.
Er hielt sie fest, während sie die Arme um seinen Nacken geschlungen hatte. Sie lösten sich erst wieder voneinander, als ein von Pferden gezogener Milchwagen, hoch beladen mit 45-Liter-Fässern aus Stahl, an ihnen vorbeirollte.
Adrian führte sie zu einem schmuddeligen Austin Chummy mit großen Rädern und dünnen Reifen, der auf der anderen Seite des Platzes parkte.
»Neues Auto?«, scherzte Lu See, während sie sich eine karierte Decke über den Schoß legte.
Er zuckte mit den Schultern und gab dem Kofferträger, der sich dankend an die Mütze tippte, ein Trinkgeld. Dann zog er ein Paar Fahrerhandschuhe mit Netzeinsatz an.
»Wen sucht ihr denn?«, fragte er, als er bemerkte, dass sowohl Lu See als auch Sum Sum die Menschen, die jetzt das Zollgebäude verließen, beobachteten.
»Ich glaube, einer deiner Cousins, derjenige, der als das Schwarzköpfige Schaf bekannt ist, war auf dem Schiff.«
»Lu See glaubt, er uns verfolgen«, platzte Sum Sum heraus.
»Warum sollte er das denn tun?«
Sum Sum erklärte ihm mit knappen Worten, was geschehen war, woraufhin Adrian mit einem skeptischen Stirnrunzeln den Motor anließ. »Nun, je weniger du mit ihm zu tun hast, umso besser.«
Der Wagen ratterte eine schmale Gasse entlang und überholte einen mit Stroh beladenen Pferdekarren. Sum Sum sang auf dem Rücksitz Teile aus einem Volkslied auf Urdu.
»Habt ihr da hinten auch genug Platz?«, fragte Adrian.
»Mehr als genug«, erwiderte Sum Sum. »Reicht für sechs Leute und ein Ziege, lah .«
Wenige Minuten später fuhren sie in hohem Tempo durch das Dorf Little Piddle, ließen verschlafene Pubs, Hecken und strohgedeckte Cottages hinter sich und steuerten dann weiter Richtung Nordwesten auf Ipswich zu. Auf ihrem Weg begegnete ihnen kein einziges anderes Auto. Lu See sah Kühe auf den Wiesen, Pferde auf ihren Koppeln, Weideland, das sich über die wogenden Hügel hinweg bis in weite Ferne erstreckte. Es war ein Bild voller Ruhe und Frieden. Eine Collage aus winterlichen Grün- und Brauntönen.
Zwei Stunden später las Lu See auf einem Wegweiser, dass es noch eine Meile bis zur Getreidebörse war. Sie war von der Kulisse aus Weizenfeldern und Grasland in der Umgebung von Cambridge ohnehin schon sehr beeindruckt, als sie dann aber in die Stadt hineinfuhren, begannen ihre Augen vor Begeisterung zu leuchten. Obwohl sie noch nie zuvor in Cambridge gewesen war und weder die King’s Chapel noch den Fluss Cam mit seinen Stechkähnen oder die neu erbaute Universitätsbibliothek gesehen hatte, erschien ihr all das durch Adrians Briefe seltsam vertraut.
Während sie langsam die Castle Street hinunterfuhren, die so abschüssig war, dass sie sich intuitiv in ihren Sitzen zurücklehnten, dann die Chesterton Lane überquerten und linker Hand das Magdalene College passierten, fiel Lu See auf, dass die mit Kopfsteinen gepflasterten Straßen der Stadt von unzähligen Buchgeschäften und
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