Das Haus der tausend Blueten
– wider die Natur ist?«, fragte sie Sum Sum.
» Aiyoo sami! Mit eine Ziege Sex haben, das ist wider Natur. Mit drei Ohren anstatt mit zwei auf Welt kommen, das ist wider Natur. Aber du nichts anderes tun, als dein Träume verwirklichen, lah . Du dir doch immer darüber beklagt, wie sehr dein Eltern dein Leben bestimmen, und dass sie dir zwingen wollen, den Einäugigen Riesen zu heiraten. Da ist ganz natürlich, dass du rebellieren. Beim Dharmakaya-Himmel, ich auch würde davonlaufen, wenn ich ihn heiraten müssen!«
»Meine Eltern bedeuten mir immer noch sehr viel. Ich lasse sie im Stich, verabschiede mich mit dem Winken eines Taschentuchs von meiner Vergangenheit.«
» Aiyoo! Warum du bist so mego-dramatisch, lah !«
»Ich frage mich, ob auch Sarojini Naidu das alles durchmachen musste, als sie ihren Eltern sagte, dass sie nach Cambridge gehen will.«
»Ist auch von zu Hause weggelaufen?«
»Nein. Ihr Vater wollte, dass sie Mathematikerin wird, aber sie hat sich nur für Poesie interessiert. Als sie sechzehn war, war der Nizam von Hyderabad von ihren Gedichten so beeindruckt, dass er sie für ein Stipendium in England vorschlug. Jetzt ist sie in der ganzen Welt als ›Die indische Nachtigall‹ bekannt.«
»Und du werden eines Tages als ›Malaiische Mego-Dramatikerin‹ bekannt.«
Lu See hielt inne, spürte einen kleinen Stich des Bedauerns. »Glaubst du, dass Mama wütend auf mich ist?«
»Sie bestimmt wildfuchsteufels ist.« Sum Sum schnalzte mit der Zunge, um das zu demonstrieren.
Lu See streckte ihre gertenschlanken Beine aus. »Ich kann es noch immer nicht glauben, dass meine Eltern mich wirklich mit dem Einäugigen Riesen verheiraten wollten.«
Einäugiger Riese, das war der Spitzname, den sie Chow Cheam gegeben hatten. Er wohnte fünf Straßen von ihnen entfernt und war der einzige Erbe der Chow Titt Municipal Bank. Im Alter von elf Jahren hatte er beim Badminton sein linkes Auge verloren. Der Federball hatte ihn getroffen, bevor er sein Auge hatte schließen können. Jetzt, im Alter von dreiundzwanzig Jahren, war er ein ständig blinzelnder, arroganter, plattfüßiger Rohling mit stinkendem Atem und pockennarbigem Gesicht.
»Dein Vater geglaubt, das gut für Geschäft ist. Aber deine Mama verstehen dir wahrscheinlich tief in ihr Inneren, lah . Sie auch einmal verliebt, weißt du – sie immerhin dein Vater geheiratet, obwohl Wahrsager gesagt, er nicht der Richtige für sie. Abgesehen davon«, sie schürzte die Lippen, »ist nicht erstes Mal, dass du wegläufst.«
Einen Moment lang war Lu See irritiert. Sie runzelte die Stirn. Dann zog sie die Augenbrauen hoch und legte den Kopf schief, als sie sich wieder erinnerte.
Es war der Tag gewesen, an dem ihre Tante Mimi geheiratet hatte. Sie selbst hatte gerade im Garten gespielt und gehört, wie ihre Mutter nach ihr rief. »Komm schon, wir sind schon spät dran! Wo bist du denn, hnn ?«
Aber Lu See wollte kein Blumenmädchen sein. Sie wollte nicht von so vielen Menschen angestarrt werden. Schon damals hatte sie sich danach gesehnt, frei zu sein. Sie wollte wie die Dorfkinder sein – barfuß durch die Felder laufen, Schmetterlinge fangen, auf Bäume klettern und Mangos pflücken. Also hatte sie sich unter einem Hibiskus im Garten versteckt.
»Wo bist du, Lu See? Lu See!«
Erst später, sehr viel später, war sie unter dem Busch hervorgekrochen und hatte sich ans Ufer des Flusses gesetzt. Mr Bala, der Gärtner, hatte sie dort schließlich gefunden und nach Hause gebracht. Da war es jedoch schon dunkel gewesen.
»Ich habe ihnen Schande bereitet«, seufzte Lu See, als sie die entsetzten Gesichter ihrer Eltern von damals vor sich sah.
»Könnte schlimmer sein, lah .« Sum Sums Ton klang sanft und neckend zugleich. »Du auch Baby kriegen können!«
3
Es war 7.45 Uhr am Morgen, Mitte Februar. Der Zollbeamte in Felixstowe nahm ein Stück gelbe Kreide und markierte Lu Sees Koffer aus Fischleder mit einem großen X, bevor er die beiden Mädchen zum Weitergehen aufforderte.
Sum Sum warf instinktiv noch einmal einen Blick über ihre Schulter, um sich zu vergewissern, ob ihnen auch wirklich niemand folgte, aber sie sah keine Spur vom Muttermal-Mann. Tatsächlich hatten sie ihn seit Bombay nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Ein Kofferträger nahm ihnen das Gepäck ab, und sie stürmten, atemlos vor Aufregung, am Zeitungsstand vorbei in den abgetrennten Empfangsbereich. Dort hatte sich eine Gruppe von etwa zwanzig Personen eingefunden. Eine Frau hielt ein
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