Das Haus der tausend Blueten
Belastung wegen der Sprengung des Damms schuld an seinem Zustand ist. Wir haben die Woos angezeigt, auch wenn wir leider keinerlei Beweise gegen sie haben. Cha! Diese verdammte Brut.
Aber es gibt auch noch andere beunruhigende Neuigkeiten – dein Bruder James ist ein Zeuge Jehovas geworden! Er verbringt jetzt seine Tage damit, über das Paradies auf Erden zu predigen. Er verteilt Flugblätter an fremde Menschen und sagt ihnen, dass Jesus in Wirklichkeit der Erzengel Michael sei und dass Bluttransfusionen und das Tragen von Bärten etwas Böses sind.
Welche schreckliche Sünde habe ich begangen, um mit solchen Kindern bestraft zu werden?
Als Jüngste hast du es immer gehasst, wenn du irgendwo nicht mitmachen durftest. Du hasst es gehasst, wenn man dich ausgeschlossen hat, und das hat dich wohl auch so eigensinnig und stur werden lassen. Und jetzt bist du es, die deine Familie ausschließt.
Eine gute Neuigkeit gibt es jedoch auch: Dein älterer Bruder Peter hat ein Mädchen aus dem Ting-Clan kennengelernt. Sie heißt Irene. Wenn sie seinen Antrag annimmt, wäre dies für unsere Familie eine überaus vorteilhafte Verbindung. So wie es vorteilhaft gewesen wäre, wenn du in die Familie Chow eingeheiratet hättest.
Ich hoffe sehr, dass du gesund bist und es dir gut geht. Außerdem hoffe ich, dass du bald wieder nach Hause kommst.
Bitte schreib uns, wie es dir geht – das ist wohl nicht zu viel verlangt.
Der zweite Brief war von Zweiter Tante Doris.
Liebste Nichte Lu See,
gestern habe ich deinen Brief vom 29. März erhalten. Ich war begeistert, als ich das mit Girton gelesen habe. Sei stark und zuversichtlich und vergiss nie, dass es keine Rolle spielt, was du mit deinem Leben anfängst, solange du danach strebst, dich weiterzubilden. Hebe dich aus der Masse hervor! Sei niemals ein Mauerblümchen! Das Wetter hier ist drückend und heiß. Die Jasminbäume im Garten gedeihen prächtig.
Morgen feiert man in Po On Village Wesak, Buddhas Geburtstag. Die Vereinigung der Chinesischen Familien hat einen neuen Schrein errichtet. Im Tempel brennen bereits die Räucherstäbchen. Er ist mit Blumen und Statuen von Buddha als Baby geschmückt. Selbstverständlich legt die Juru-Diözesan-Treuhändergesellschaft jetzt großen Wert darauf, sozusagen im Gegenzug das Gebäude der neuen anglikanischen Kirche einzuweihen. Ich stimme mit dir überein, dass es zu lange dauern würde, eine neue Orgel bauen zu lassen und dass wir uns deshalb für einen bereits fertigen Spieltisch entscheiden sollten. Und genau wie du bin ich mir auch sicher, dass Conrad P. Hughes aus London eine gute Wahl ist und er uns nicht enttäuschen wird. Die Entwürfe, die du mir geschickt hast, gefallen mir sehr gut. Ich finde, dass das Gehäuse sowohl elegant als auch praktisch ist. Ich habe unten die technische Beschreibung beigefügt, so wie sie von den Treuhändern genehmigt wurde:
HAUPTWERK SCHWELLWERK
Prinzipal 8’ Geigenprinzipal 8’
Offenflöte 8’ Prinzipal 4’
Okave 4’ Rohrflöte 4’
Flöte 2’ Nasard 2’
Oboe 8’
PEDAL
Gedecktbass 8’
Das Ganze sollte jetzt so schnell wie möglich über die Bühne gehen. Beauftrage also Mr Hughes, die Pfeifen so bald wie möglich gießen zu lassen. Die neue Kirche wird im November fertig werden. Der Gedenkgottesdienst für Tak Ming soll im Dezember stattfinden. Die Orgel, und alles was dazu gehört, muss also bis spätestens Anfang Dezember hier eintreffen.
Wie geht es deinem Freund Mr Adrian Woo? Ich bin sehr erleichtert, dass du keine Verbindung mit der Familie Chow eingegangen bist. Vergiss niemals, einen grünen Baum in deinem Herzen zu bewahren, dann wird ihm ein kalter Wind vielleicht nichts anhaben.
Ich denke oft an dich.
Zweite Tante Doris
Nachdem Lu See den zweiten Brief gelesen hatte, beschloss sie, auf der Stelle mit Sum Sum nach London zu fahren, um noch einmal Conrad P. Hughes aufzusuchen.
Während der Zugfahrt sprachen Sum Sum und Lu See kaum ein Wort miteinander. Beide waren tief in Gedanken versunken. Lu See dachte an Tak Ming – daran, wie sie zusammen mit ihm im Kirchenchor gesungen hatte, und versuchte, sich dabei an sein Lachen zu erinnern, wenn er absichtlich falsch sang.
Alles, woran Sum Sum denken konnte, waren die Berge von Tibet, die Nebelschleier, die über die Ebenen trieben, und die sanften Wiegenlieder, mit denen ihre Mutter sie als Kind in den Schlaf gesungen hatte. Sie schloss die Augen und versuchte sich dadurch abzulenken, dass sie dem Rattern der Räder auf
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