Das Haus der tausend Blueten
stellte er das Radio an. Die Stimme eines Sportreporters plätscherte durch das Zimmer. Er sprach gerade über Jesse Owens Medaillenchancen bei den kommenden Olympischen Spielen in Berlin.
»Meine Aufnahmeprüfung findet Ende September statt. Ich kann jetzt nicht einfach Urlaub machen.«
Lu See schaltete das Radio wieder aus.
Er streckte die Hände in einer versöhnlichen Geste in ihre Richtung. Sein Ton wurde eindringlicher. »Das viele Lernen hat dich geistig ausgelaugt. Und ich weiß, dass dich die Geschichte mit der Orgel sehr belastet hat. Vertrau mir. Eine Pause wird dir guttun, Goosey, du brauchst jetzt Ruhe, um wieder zu dir selbst zu finden. Du vergräbst dich jetzt schon seit Monaten in deinen Büchern.«
»Eine Pause, Adrian Woo, wird meinen Chancen auf einen Studienplatz am Girton bestimmt nicht zuträglich sein!«
Er nahm ihre Hand. »Goosey, du hast jetzt seit Monaten ununterbrochen gearbeitet. Glaub mir, du wirst irgendwann zusammenbrechen. Wir können ja all deine Bücher mitnehmen. Hast du gesehen, wie groß mein Koffer ist? Himmel, wir könnten die ganze verdammte Divinity-Bibliothek mitnehmen.«
»Bist du wirklich der Meinung, dass eine Pause das Richtige für mich wäre?«
»Vertrau mir.«
Ein flüchtiges Lächeln umspielte ihre Lippen. »Du hast doch nicht etwa vor, mich auf eine kommunistische Tagung zu schleppen, oder?«
»Nein, versprochen. Du kannst den ganzen Vormittag arbeiten. Anschließend können wir in einem netten Restaurant am Meer ein schönes langes Mittagessen einnehmen, ein oder zwei Drinks schlürfen, und danach kannst du noch einmal drei Stunden büffeln. Du weißt, dass dir das guttun würde. Goosey, ich vertraue auf dich. Ich bin dein größter Bewunderer. Ich bin absolut überzeugt davon, dass du die Aufnahmeprüfung mit Bravour bestehen wirst. Das Letzte, was ich will, ist, deine Chancen auf einen Studienplatz zu gefährden, aber ein Tapetenwechsel wird dir bestimmt neue Energie geben.«
»Also gut, ich komme mit.«
»Weißt du was?« Seine Stimme wurde höher, während ein befreiter Ausdruck in seine Augen trat. »Warum fahren wir nicht hinauf in den Norden? Suchen uns irgendwo, nicht weit von Sheffield entfernt, eine Pension an der Küste. Auf diese Weise können wir von Zeit zu Zeit bei Brinkley & Fosler vorbeischauen und sehen, wie sie mit der Orgel vorankommen.«
»Du versprichst mir, dass ich Zeit zum Lernen haben werde? Du wirst mir nicht auf die Nerven gehen und jede Stunde in mein Zimmer stürmen und über mich herfallen?«
»Wohl eher jede halbe Stunde. Und du meinst doch sicher unser Zimmer?«
»Wovon in aller Welt redest du? Wir können doch kein Doppelzimmer nehmen. Denk nur an den Skandal, den wir heraufbeschwören, wenn das herauskommen sollte.«
»Bis dahin werden wir längst verheiratet sein.« Er ließ sich auf ein Knie nieder und zog einen kleinen goldenen Ring aus seiner Jackentasche. »Zumindest hoffe ich, dass wir das sein werden.« Er blickte zu ihr hoch, sah, wie ihre Lippen bebten. »Ich habe für den 14. Juni einen Termin auf dem Standesamt vereinbart. Goosey, willst du mir die Ehre erweisen …«
Sie zog ihn auf die Füße und sprang in seine Arme, schlang ihre Beine um seine Taille.
»Um Himmels willen!« Er versuchte sie zu beruhigen. »Stevens ist in der Nähe.«
»Was? Willst du, dass er hereinkommt und mitmacht?« Sie kicherte und küsste ihn leidenschaftlich auf den Mund. Ihr Lachen unterdrückend kugelten sie auf dem Holzboden herum, bis ihre Knie und Ellbogen schmerzten.
»Warte!«, sagte Lu See. »Wenn wir verheiratet sind, kann ich nicht mehr bei Mrs Slackford wohnen. Sie lässt doch keine Männer ins Haus.«
»Wir könnten uns in der Jesus Lane eine möblierte Wohnung mieten.«
»Und Sum Sum?«
»Sie kann doch weiter am Portugal Place wohnen, oder?«
»Ich will sie nicht allein lassen.«
»Ich liebe dich, Lu See. Und ich möchte, dass du meine Frau wirst, und wenn du der Meinung bist, dass Sum Sum bei uns wohnen sollte, dann ist das in Ordnung.«
»Lass mich mit ihr darüber sprechen.«
»Ich finde, dass wir mal eine Weile allein sein sollten. Nur du und ich.«
Am 14. Juni zur Mittagszeit betraten Lu See und Adrian das Standesamt. Sie standen in dem elfenbeinfarbenen Raum vor dem Standesbeamten, einem Mann mit einem üppigen Schnurrbart, dessen Augen vom Sherry schon ganz wässrig waren. Pietro, der sich mit einer übertrieben großen Fliege herausgeputzt hatte, und Sum Sum waren ihre Trauzeugen. Adrian trug
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