Das Haus der tausend Blueten
kleinerer, auf dem ein hellrotes Kissen lag. Jeden Abend setzte sich Mabel auf dieses Kissen, faltete die Hände im Schoß und wartete geduldig darauf, dass ihre Mutter nach Hause kam.
Manchmal aß sie, auf dem dicken roten Kissen thronend, dort sogar zu Abend, eine Mahlzeit, die in aller Regel aus fadem Reis bestand. Die Schale hielt sie dabei fest in der Hand, während sie den Blick unverwandt auf die unbefestigte Straße richtete, die nach Tamarind Hill hinaufführte. Manchmal saß sie auch am Fenster in der Küche und schaufelte mit zwei Essstäbchen Reiskörner in den Mund, ohne dabei ihre Aufmerksamkeit auch nur eine Sekunde von dem Feldweg zu nehmen, den sie wie ein Habicht beobachtete.
» Chee-chee-chee! Deine Mutter kommt auch nicht schneller wieder, wenn du auf die Straße starrst, Kleine.«
»Ich weiß, Oma.«
»Warum gehst du dann nicht rein und ruhst dich aus? Du bekommst noch ganz müde Augen.«
»Es geht mir gut.«
»Komm, ich zünde frische Kerzen an und mache dir Bananenbrot.«
Mabel schüttelte entschieden den Kopf. »Nein.«
Als es dunkel wurde und der beißende Geruch der Kerosinlampen die Luft schwängerte, ließ sich Onkel Hängebacke mit seiner massigen Gestalt in den Korbsessel neben ihr fallen. Er zündete sich einen Stumpen an und nahm einen langen Zug und hielt dabei die andere Hand so vor die Zigarre, dass die rote Glut nicht zu sehen war. Er sagte Mabel ständig, dass Rauchen ungesund sei. Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, dann starrte sie wieder auf die Straße.
»Aiyoo!«, schnaufte er. »Ich hatte einmal eine Hündin. Die war genau wie du. Sie hat immer Eichhörnchen gejagt, hat jeden Baum angestarrt, als hingen Goldbarren an seinen Ästen. Da wir schon von Gold sprechen, nächste Woche ist die Durian -Saison vorbei. Denk dran, dass man zu dieser Frucht niemals Alkohol trinken darf, das kann schlimme Folgen haben, weißt du.«
»Wie spät ist es, Onkel?«
Onkel Hängebacke rieb sich seinen Scheitel mit Zigarrenasche ein, um die Moskitos fernzuhalten. Sein kurzes graues Haar war ungleichmäßig geschnitten und sah aus, als hätte eine Ziege daran herumgeknabbert. Er nahm die Arme herunter und sah auf seine Armbanduhr, dann legte er seine Hände wieder auf seinen kugelrunden Bauch. »Zwei Minuten später als beim letzten Mal, als du mich das gefragt hast.«
Mabel starrte angestrengt in die Dunkelheit und lauschte den Geräuschen des Dschungels. In der Hoffnung, außer dem pfeifenden Trillern der Baumfrösche das Geräusch von Schritten zu hören, versuchte sie, mit ihrem Blick das Gewirr von Schlingpflanzen, die von den dicht stehenden Bäumen herabhingen, zu durchdringen. Und dann, während sie sich nach vorn beugte wie ein Eichhörnchen, das eine Nuss entdeckt hat, ging ein Ruck durch ihren Körper. Sie sprang von der Veranda herunter und hüpfte die Straße entlang. »Mama, Mama, Mama!« Sie rannte mit ausgestreckten Armen, sprang leichtfüßig über ein Schlagloch und warf sich ihrer Mutter in die Arme.
Seit das Land besetzt worden war, arbeiteten sowohl Peter als auch James als Postkontrolleure in der ehemaligen De-La-Rue-Druckerei in Butterworth, wo sie einem gewissen Mr Miyagi unterstellt waren. Sie fuhren jeden Morgen mit dem Rad zum Bahnhof von Juru, wo sie den Zug nach Butterworth nahmen, und kamen jeden Abend rechtzeitig zum Abendessen wieder zurück.
Als Lu See die von Kerzenschein erhellte Küche betrat, hörte sie Peter gerade sagen: »Heute hat mich auf dem Rückweg von der Druckerei so ein japanischer Laster fast von der Straße gefegt. Ich hatte Glück, dass ich nicht die Kontrolle über mein Fahrrad verloren habe und im Graben gelandet bin.«
Lu See sah, dass ihre Brüder zusammen mit ihrer Mutter am Tisch in der Mitte des Raums saßen, auf dem eine Schüssel mit Bananen stand. Lu Sees Mutter riss eine Frucht von dem Bündel ab und zielte damit wie mit einer Pistole auf ihren Sohn: »Bist du eine Maus oder ein Mann? Auf der Straße ist doch ausreichend Platz. Wo ist dein Mumm geblieben?«
Lu See erwartete fast, dass sie über den Tisch griff und ihn am Ohrläppchen zog.
»Du hättest sehen sollen, wie nah der Laster war«, rief er aufgebracht. »Jehova sei mein Zeuge, er hat mich sogar gestreift.«
»Cha!«, sagte die Mutter.
»Es ist aber wahr«, meinte Peter trotzig.
Sie warf ihm einen bösen Blick zu. James stand auf, um das Geschirr zu spülen, und bewegte sich dabei so vorsichtig, als läge ein schlafender Tiger auf dem Boden.
Seine Mutter
Weitere Kostenlose Bücher