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Das Haus der tausend Blueten

Das Haus der tausend Blueten

Titel: Das Haus der tausend Blueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Lees
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könnt ihr vielleicht dazu verwenden, schärfere Scheren zu kaufen.«
    »Zapple nicht so rum, und sei endlich still.«
    Sie beobachtete eine Weile die tropfende Kerze. Ihre Augen weiteten sich ein wenig, als sie das Rasiermesser sah.
    »Wofür ist das, lah ?«
    »Was für eine dumme Frage! Das ist, als müsse man einem Fisch das Schwimmen beibringen! Schau, wie still die anderen Mädchen darauf warten, dass sie an die Reihe kommen. Sei so gut und mach es so wie sie, ja?«
    Im Halbdunkel räusperte sich jemand. Vielleicht, um dagegen zu protestieren, dass sie so laut redeten, dachte Sum Sum.
    Die Rasierklinge kratzte über Sum Sums Haut. »Aua!«
    »Aua, so ein Quatsch. Halt still!«
    Die Klinge pflügte einen bleichen Pfad durch die feinen schwarzen Stoppeln.
    Schließlich schnipste die Vorsteherin des Tempels mit dem Finger gegen Sum Sums Ohrläppchen und sagte ihr, dass sie ins nächste Gebäude gehen solle, um sich bei der Leiterin der Gebetshalle ihre Kleidung abzuholen.
    Das Büro von Jampa, der Leiterin der Gebetshalle, lag auf der anderen Seite des Hofes. Von dort aus hatte man eine gute Sicht auf die Schneeberge und den Potala-Palast mit seiner Fülle von Windpferd-Flaggen, die flatternden bunten Papiertüchern ähnelten.
    Sum Sum hob den Türklopfer, der die Form eines Drachen hatte, und ließ ihn fallen.
    » Yar Pep! Herein!«
    Der kleine Raum war spartanisch eingerichtet. Ein Schreibtisch, drei Holzstühle, eine Sturmlampe mit geöltem Docht und ein Wandteppich aus Wolle mit dem Bild der Weißen Tara stellten das einzige Inventar dar. Sum Sum warf einen Blick auf das Bildnis der Mutter aller Buddhas mit ihren sieben Augen, suchte nach jenen in der Mitte ihrer Stirn, auf ihren Händen und ihren Füßen. Ein einzelnes Sprossenfenster mit lichtdurchlässigem Papier bespannt erlaubte einen verschwommenen Blick auf den Fluss und die Hügel dahinter.
    Gebetshallenleiterin Jampa, eine beleibte Siebzigerin mit einem Gesicht wie ein kleines Ferkel, lächelte pausbäckig. Sie machte mit der Zunge ein schnalzendes Geräusch. »Du hast deinen Kopf rasieren lassen. Yakpo ndug, das ist gut.«
    Sum Sum strich sich mit der Hand über ihren kahlen Schädel. » Aiyoo sami! Ich sehe bestimmt aus wie ein frisch gelegtes Ei. Kann ich wenigstens einen Eierwärmer tragen, wenn es kälter wird?« Ein Kichern stieg in ihr auf, es gelang ihr jedoch, es zu unterdrücken.
    »Es wird von dir erwartet, dass du deinen Kopf immer rasierst. Die Vorsteherin des Tempels wird dir Rasierklingen zur Verfügung stellen. Ay-yi, aber was ist denn das? Deine Kleidung sitzt viel zu locker. Komm näher, ich will mir dein Gewand ansehen.«
    Die Gebetshallenleiterin rückte Sum Sums rotbraunen Schal und ihr Untergewand zurecht, zog das Tuch an der Taille fest. »Diese schlichte Kleidung mag zwar für den Verzicht stehen, zu dem wir uns verpflichtet haben, aber wir müssen dennoch auf ein ordentliches Erscheinungsbild achten. Und jetzt nimm bitte Platz.«
    Sum Sum setzte sich und legte die Hände respektvoll in den Schoß. Sie betrachtete den Schreibtisch. Dort lagen, sauber nebeneinander aufgereiht, Schriftrollen, Kalligrafie-Pinsel aus Kaninchenhaar und Schäften aus Ochsenhorn, ein Fläschchen Tusche, ein purpurfarbiger Reibestein und ein Pinselwascher aus Stein.
    Jampa beugte sich über ihren Schreibtisch und bot Sum Sum natag -Schnupftabak an, den sie als fein gemahlenes Pulver in einem Behälter aus Yakhorn aufbewahrte. Eine Windbö drang durch die Spalten im Sprossenfenster und ließ Sum Sum frösteln.
    »Ein klein wenig davon auf dem Daumennagel genügt«, sagte die Gebetshallenleiterin.
    Die Schriftrollen bewegten sich im Wind. Sum Sum nahm eine Prise und legte dann den Kopf in den Nacken, als erwarte sie zu niesen. Nach ein paar Sekunden begann sie zu würgen.
    »Ist er zu stark für dich?« Jampa lächelte Sum Sum freundlich an. Ihre Augen funkelten belustigt.
    Sum Sum atmete langsam aus, wobei ihr Atem als graue Staubwolke aus ihrem Mund entwich. »Gütiger Dharmakaya-Himmel! Was ist denn da drin? Chilipulver?«
    »Gemahlener Bockshornklee, Kardamom und Wacholderasche.«
    Beide Frauen hatten jetzt wässrige Augen.
    » Ndug’re. Okay. Eine Prise davon bewirkt morgens vor dem Fünf-Uhr-Gebet wahre Wunder. Erst danach bin ich wirklich wach. Ich biete allen Novizinnen an ihrem ersten Tag etwas davon an. Ich denke, es hilft ihnen dabei, die Nerven zu beruhigen. Aber die Äbtissin sollte besser nichts davon erfahren, sonst frisst sie mich zum

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