Das Haus der tausend Blueten
Frühstück.«
Sum Sum und Jampa schnalzten zufrieden mit der Zunge.
Die Gebetshallenleiterin entnahm einer Mappe auf ihrem Schreibtisch einen Zettel und reichte ihn Sum Sum.
» Ndug’re. Es ist jetzt an der Zeit, dass wir uns den organisatorischen Dingen widmen. Wir haben entschieden, dass dies dein Dharma-Name sein wird.«
Sum Sum starrte das Stück Papier an. Es war beige und mit tibetischen Buchstaben beschriftet.
» Sengemo? Löwin?«
»Das ist ein guter Name. Er steht in Einklang mit deiner Abstammung – dein Vater war ein hervorragender Soldat, nicht wahr? Löwin, das passt zu dir. Ich möchte außerdem, dass du diese Mala -Perlen an deinem Handgelenk trägst. Jede dieser Perlen ist aus Knochen gefertigt. Sie werden dir bei deinen Gebeten helfen.«
Sum Sum dankte ihr.
»Wenn du in dieses Kloster eintrittst, lässt du deine Geschichte hinter dir«, fuhr die alte Nonne fort. »Man vergisst, was vorher war. Du musst zulassen, dass deine Erinnerungen rosten. Was vergangen ist, ist vergangen. In der Welt dort draußen erschaffen sich die Menschen ihre eigene Traurigkeit. Das ist hier nicht der Fall.«
Die Gebetshallenleiterin betrachtete nachdenklich ihren Aktenordner. » Ndug’re. Ich denke, wir sollten jetzt über deine zukünftigen Aufgaben sprechen. Wie du sicher weißt, erhalten wir im Gegensatz zu den Mönchen keine Bezahlung für rituelle Dienste. Aus diesem Grund können wir es uns auch nicht leisten, unsere Schwestern auf die Art und Weise zu verpflegen, wie das ein Mönchskloster kann. Du wirst hier Wissen erwerben und die Lehren des Buddha verinnerlichen, aber man wird von dir auch verlangen, dass du dazu beiträgst, die Gemeinschaft zu versorgen.«
Sum Sum nickte. »Tuteche.«
»Welche besonderen Fähigkeiten hast du? Was kannst du? Weißt du, wie man eine Spindel benutzt?«
»Leider nein, Gebetshallenleiterin.«
»Hmm. Kennst du dich mit der Feldarbeit aus?«
Sum Sum lächelte sie an, zeigte dabei ihre mit Neem gepflegten weißen Zähne. »Ich habe als Kind oft auf den Reisfeldern geholfen.«
»Aber seitdem nicht mehr?«
»Ein bisschen Gemüseanbau, wenn die Erde nicht allzu zu hart ist.«
Jampa kniff sich ins Kinn und gab ein weiteres halb amüsiertes, halb entsetztes Hmmm von sich.
»Also, einmal andersherum gefragt, was kannst du, Sengemo ?«
Sum Sum griff sich instinktiv an den Kopf, um eine ihrer nicht mehr vorhandene Haarsträhnen um ihren Finger zu wickeln. »Kochen. Ich glaube, ich bin eine gute Köchin, lah !«
»Bei der sengenden Sonne, das wäre ja noch schöner. Die Aufgaben in der Küche sind den älteren Mitgliedern vorbehalten. Wir können schließlich nicht riskieren, dass du uns mit nicht durchgekochtem Essen vergiftest, oder? Nein, ich denke, die Wäsche ist das Richtige für dich. Ndug’re! Du wirst als Wäscherin anfangen und am Fluss die Kleidung waschen. Einverstanden?«
Sum Sum nickte. »Tuteche.«
»Da das jetzt geklärt ist, lass mich dich daran erinnern, dass Keuschheit unabdingbar ist und dass in deinen ersten fünf Jahren der Kontakt mit Menschen außerhalb der Klostermauern von Ani Trangkhung nicht gestattet ist. Danach darfst du das jährliche Pferdefest auf dem Grasland besuchen. Wenn du jemandem eine Nachricht zukommen lassen möchtest, dann tust du gut daran, zuerst bei einer Ältesten Rat zu suchen. Gibt es jemanden, mit dem du vor deiner endgültigen Aufnahme noch einmal Verbindung aufnehmen möchtest?«
Sum Sum war froh, dass es ihr möglich gewesen war, ihren Bruder Hesha noch einmal zu sehen, jetzt aber dachte sie an Lu See. Sie hätte ihr so gern mitgeteilt, wo sie war, was sie tat, sehnte sich danach, zu erfahren, ob sie und das Kind in Sicherheit waren. Acht Jahre waren es nun, acht Jahre ohne jeden Kontakt. Sie legte das alles jetzt in die Hände des Schicksals. Wenn es ihr bestimmt war, ihre Freundin noch einmal wiederzusehen, dann würde Hesha sie das wissen lassen.
»Nein.« Sie senkte den Blick. »Es gibt niemanden.«
»Ndug’re.«
Die Gebetshallenleiterin griff jetzt nach ihrem Behälter aus Yakhorn. »Verschmähe alle weltlichen Güter. Du besitzt jetzt nur noch ein Gewand und ein Paar Sandalen. Studiere die Schriften gründlich, arbeite hart und werde eine gelehrte und freundliche Nonne.« Sie schnalzte mit der Zunge. »Innerer Friede und Kraft seien mit dir.«
Sum Sum erhob sich von ihrem Stuhl, hielt dabei ihre Mala -Perlen in der Hand und neigte den Kopf. »Innerer Friede und Kraft seien mit dir.«
4
Spätestens Mitte
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