Das Haus der tausend Blueten
Pferdefellkissen vor einem niedrigen Tisch saßen und heißen Buttertee aus hölzernen Schalen tranken, erzählte sie ihm vom Tod ihrer Mutter. Hesha hörte ihr schweigend zu, neigte dabei immer wieder ehrfürchtig den Kopf und flüsterte die Namen der Gottheiten, um ihr Andenken zu ehren.
Ihr Bruder wirkte erleichtert, als Sum Sum ihm berichtete, dass viele Vögel gekommen seien, um sich an ihrem Fleisch satt zu fressen. »Hoffen wir, das ihre Seele jetzt fortgezogen ist.«
Sie wollte noch mehr sagen, aber die Worte blieben ihr im Halse stecken.
Er fuhr sich mit dem Zeigefinger über seine Stirn und sah aus dem Fenster, starrte zum Himmel hinauf. Dann blies er in seine Schale mit Buttertee, betrachtete den Stapel Feuerholz und das Sattelzeug, das auf dem Boden lag.
»Es ist uns bestimmt, die zu verlieren, die wir lieben, sonst würde uns niemals bewusst werden, wie viel sie uns bedeutet haben.«
Sum Sum berührte sanft seinen Arm. »Hier«, sagte sie und reichte ihm eine Schale mit tsampa . »Damit du ein bisschen mehr Fleisch auf die Rippen bekommst.«
Hesha nahm das tsampa entgegen, das er dann mit den Fingern in seinen Mund schaufelte. Während er aß, sprachen sie von ihrer Kindheit, von der Zeit, bevor Sum Sum zum Arbeiten in das fremde Land jenseits der Hochebene gegangen war.
»Erinnerst du dich noch daran, wie du im Frühling immer Drachen hast steigen lassen?«, fragte sie.
Sum Sum sah, wie ein Lächeln auf dem Gesicht ihres Bruders erschien. »Die alte Witwe Bayarmaa ist mir jedes Mal, wenn sich meine Drachenschnur in ihrer Wäsche verheddert hat, mit einem Besen hinterhergerannt.«
»Und erinnerst du dich auch noch an den Tag, als A-Pha dich zum Pferdefest mitgenommen hat und du auf einem mongolischen Pony reiten durftest?«
»Was schließlich damit endete, dass ich verkehrt herum auf dem Sattel saß.«
Sie mussten beide laut lachen.
Nach einer Viertelstunde gab Hesha ein halb unterdrücktes Gähnen von sich. Sum Sum kam während dieser untypischen Gesprächspause der Gedanke, dass Hesha vielleicht über das reden wollte, was er gerade tat. Sie fragte ihn, ob sein Rang als Sergeant bedeutete, dass er große Verantwortung trug.
»Viel Verantwortung«, erwiderte er.
»Was zum Beispiel?«
»Ich bin für einen Zug verantwortlich. Ich muss meinen Männern auf dem Schlachtfeld mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn wir nicht kämpfen, muss die Ausrüstung instand gehalten werden. Es ist meine Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass dies auch geschieht.«
»Erzähl mir von Burma. Du schreibst ja nie.«
Sein Gesicht wurde ernst. »Ich schreibe sehr wohl. Ich schreibe sogar viele Briefe, Schwester, ich richte sie aber nicht an Menschen, die ich kenne.«
Als sie ihn verständnislos ansah, fuhr er fort.
»Ich schreibe den Familien der Gefallenen. Jeden Monat sind es fünf oder sechs Briefe an nepalesische Mütter und Väter. Ich schreibe ihnen von ihren Söhnen, die erschossen, erstochen oder in die Luft gesprengt wurden. Die Worte sind schwarz wie Raben, die mein Herz heimsuchen. Ich bin das Briefeschreiben leid.«
Hesha wandte sein Gesicht ab, verbarg den Schmerz vor ihr. Sum Sum kannte diese Bewegung. So hatte er sich schon als kleiner Junge immer abgewandt, wenn A-Ma ihn gescholten hatte.
Sum Sum berührte sachte seine Schulter und bot ihm noch etwas von dem tsampa an. Danach erzählte er ihr, dass sein Bataillon, das zuvor in Rangoon stationiert gewesen war, auf einen Flugzeugträger verlegt worden sei.
»Man munkelt von einer möglichen Rückeroberung Malaysias.«
Sum Sum nickte und schwieg.
Ein Flugzeug zog über ihren Köpfen dahin. Die Einheimischen nannten es »Eisenvogel«. Sum Sum wusste, dass es sich um eine amerikanische C-87-Transportmaschine handelte, die aus Indien kam. Hesha hatte ihr gesagt, dass die Alliierten, seit die Japaner die Burma Road kontrollierten, eine Luftbrücke über dem Himalaja eingerichtet hatten, um Chiang Kai-sheks Streitkräfte in China zu unterstützen.
Es vergingen zwei weitere Tage, bevor sie ihm einen Umschlag in die Hand drückte. »Wenn der Krieg vorbei ist und du zufällig einmal in Penang bist, könntest du das dann für mich abgeben?« Er las den Namen auf dem Umschlag und neigte ehrfürchtig den Kopf.
»Dies ist der einzige Brief, den ich gern zustelle.« Er sah die Traurigkeit in den Augen seiner Schwester. »Wie lange hast du sie jetzt nicht mehr gesehen?«
Sie versteifte sich. »Ich habe England 1937 verlassen. Es ist jetzt acht Jahre her,
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