Das Haus der tausend Blueten
nämlich nicht, ob diese Gummireifen-Sandalen noch sehr lange halten werden.«
»Prinzessinnenschuhe? Mit Schleifen?«
»Ja, Euer Majestät«, sagte Lu See, ging rückwärts und verbeugte sich dabei mit einer galanten Handbewegung. »Mit Schleifen so groß wie Flügel.«
Mabel breitete die Arme aus und tat so, als würde sie wie ein Vogel fliegen. »Mama, schau. Ich bin eine Krähe. Krah-krah! «
Aus der Ferne konnten sie bereits den Dorfladen und die Palmen sehen, die sich darüber wiegten. Die Brise, die durch das Dorf wehte, hatte die Kinder aus dem Haus gelockt, um ihre Drachen steigen zu lassen. Lu See schirmte ihre Augen vor der Sonne ab, blinzelte, als sie vom Licht in den Schatten kamen, und sah sich über ihre Schulter nach Mabel um, die immer wieder hochsprang, um die Ranken der Kletterpflanzen zu ergreifen, die von den in Reih und Glied stehenden Eukalyptusbäumen herunterhingen. Dann drehte sie sich plötzlich um, rannte auf ihre Mutter zu und kam schlitternd neben ihr zum Stehen. In ebendiesem Augenblick sah Lu See die Gestalten zwischen den Bäumen, die sich dem Dorf näherten.
Die Guerillas tauchten wie Geister aus dem Dschungel auf. Es war das erste Mal, dass Lu See sie am helllichten Tag sah. Sie nannten sich Malayan People’s Anti-Japanese Army, die antijapanische Armee des malaysischen Volkes. In der Bevölkerung waren sie als die MPAJA bekannt. Die Uniformen, die sie trugen, waren in einem scheckigen Khaki gehalten. Einige von ihnen hatten Mützen mit drei aufgenähten Sternen auf dem Kopf. Sie wurden von einem Mann Ende sechzig angeführt, der ein Gesicht wie rissiges Porzellan und Lippen so dick wie Würste hatte. Lu See sah einen kleinen Jungen an seiner Seite, der sich eine japanische Armeepistole in den Gürtel gesteckt hatte. Er konnte nicht älter als zehn sein.
Irgendjemand aus der Holzhandlung begann zu klatschen und zu jubeln, begrüßte die Guerillas als Befreier. Lu See wusste jedoch, dass es Leute gab, die sie als Gesetzlose betrachteten. Ein Hund, der an einer Kokospalme angebunden war, begann zu bellen, als sie sich näherten. Die Hühner stoben davon, und die Dorfgans schrie. Den Korb mit Rüben fest am Henkel gepackt beobachtete Lu See, wie die Gruppe die Hauptstraße entlangstolzierte, die Köpfe hoch erhoben, die Schultern gestrafft. Es waren ein oder zwei Malaien unter ihnen, die Mehrzahl der verlottert aussehenden Männer aber waren Chinesen.
Sie verschwanden im Dorfladen. Es dauerte nicht lange, dann kamen sie, einen Mann hinter sich herschleifend, wieder heraus. Sein Gesicht begann dank der zahlreichen Schläge, mit dem sie ihn bedacht hatten, bereits anzuschwellen. Die Dorfbewohner strömten auf dem Platz zusammen. Lu See erkannte den weißen Anzug sofort.
»Er ist ein Spitzel der Japaner!«, schrie ein Frau und bleckte die Zähne. »Er hat meinen Mann beschuldigt, ein Radio zu haben. Er hat behauptet, mein Mann würde die Sender der Alliierten hören.«
»Er ist ein Woo!«, rief jemand.
»Und wenn schon! Er weiß, was ihn erwartet!«
Der Mann, der jetzt auf dem Boden kniete, streckte der versammelten Menge bittend die Hände entgegen. Er schluchzte wie ein Kind, flehte sie um Hilfe an. Die Zuschauer standen wie erstarrt da.
Einer der MPAJA -Soldaten versetzte ihm einen Tritt.
Lu See stellte sich auf die Zehenspitzen, versuchte zu erkennen, ob es sich tatsächlich um ebenjenen Mann handelte, für den sie ihn hielt. Jetzt schlug ihn der MPAJA -Soldat ins Gesicht, sodass der Kopf des Mannes zur Seite gerissen wurde.
Das Muttermal auf seiner Wange war unverkennbar.
Mabel sah ihre Mutter verängstigt an. Während die Schreie des Mannes in Lu Sees Ohren hallten, packte sie ihre Tochter bei der Hand. Sie versuchte sie mit sich zu ziehen, aber Mabel war vor Entsetzen wie erstarrt.
»Wir müssen gehen«, zischte Lu Se. »Jetzt.«
Plötzlich kam Leben in die Beine des kleinen Mädchens. »Ja, Mama.«
»Sieh dich nicht um, Mabel. Was immer auch geschieht, sieh dich auf keinen Fall um!«
Der dumpfe Schlag von Holz auf Knochen ertönte, als die Guerillas die Brust des Mannes mit ihren Gewehrkolben traktierten. Das Knacken der Rippen hallte über den gesamten Dorfplatz. Lu See beschleunigte ihre Schritte, riss Mabel mit sich.
Der Hund bellte noch immer.
»Und was ist mit der da?«, schrie jemand hinter ihr. »Die hat für den Oberst gearbeitet!«
Weitere Stimmen fielen ein und umhüllten Lu See wie eine Decke, dann aber übertönte das Pulsieren des Blutes in
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