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Das Haus der tausend Blueten

Das Haus der tausend Blueten

Titel: Das Haus der tausend Blueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Lees
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die aufgesprungene Haut mit Feuchtigkeit zu versorgen. Danach kämmte Lu See ihrer Tochter die Haare und entwirrte vorsichtig die Knoten, bevor sie sie zu einem langen Zopf flocht.
    Seit der Kapitulation der Japaner waren mehrere Wochen vergangen. Mabel war auf der Suche nach Peter und James und fand die beiden im alten Gemüsegarten hinter dem großen Haus, wo sie gerade Zitronengrasschößlinge aus der Erde zogen. Beide trugen Armeeshorts, die ihnen viel zu groß waren. Wie üblich lagen sie sich wieder einmal in den Haaren.
    »Ganz sicher nicht. Nein, das werde ich nicht tun«, sagte James, und wieder einmal sahen seine Augen, die aus dem Kopf hervortraten, wie Murmeln aus. Er begann, Hampelmann-Sprünge zu vollführen und laut aus dem Buch Ruth zu zitieren.
    Peter verschränkte die Arme vor der Brust und warf ihm einen finsteren Blick zu. »Also, die Sitzung ist morgen um neun. Es wird von dir erwartet, dass du erklärst, was geschehen ist.«
    »Bist du taub? Ich sagte doch, dass ich das nicht machen werde!«
    »Nun, irgendjemand muss dafür gerade stehen, dass fünfhundert Bögen mit dem falschen Aufdruck aufgelegt wurden.«
    »Sie können das doch einfach als Fehldruck verbuchen.«
    »Irgendjemand muss trotzdem die Verantwortung dafür übernehmen.«
    »Ich werde das jedenfalls nicht sein!« James riss wütend an einem Büschel Zitronengras. Seine Hand fuhr in die Luft, als sich das Kraut mit einem Ruck aus der Erde löste. Kleine Erdklumpen regneten auf seinen Kragen und seinen Nacken herab.
    »Pass doch auf, du Tollpatsch!«
    »Ach, sei du doch still!«
    Lu See stellte sich neben Mabel. »Worüber in aller Welt streitet ihr euch denn jetzt schon wieder?«
    Peter verdrehte die Augen, wischte Erde von seinem Hemd. »Dein genialer Bruder hat nicht achtgegeben, und jetzt trägt die ›Wiedergeburt‹-Briefmarkenserie den Aufdruck Burmesische Okkupation . Der Generalinspekteur ist stinksauer.«
    Lu See gab sich Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken. »James, du Dussel, hast du dir die Probedrucke denn nicht angesehen?«
    »Man kann doch von mir nicht erwarten, dass ich mich so schnell auf das neue System umstelle!«
    »Und von welchem neuen System sprichst du?«, fragte Peter und stieß seinen Bruder dabei mit der Schulter zur Seite. »Von einem, das Briefe in alle Welt verschickt, mit Marken, die verkünden, dass wir nunmehr von den Burmesen überrannt worden sind?«
    »Du bist doch derjenige, der für die Qualitätskontrolle zuständig ist!«
    »Aber deine Aufgabe ist es, schon im Vorfeld Fehler auszumerzen.«
    »Und deine, das Ganze noch einmal zu kontrollieren!«
    »Jehova ist mein Zeuge, du bist der unfähigste Mensch, mit dem ich je zusammengearbeitet habe.«
    »Um genau zu sein: Das bist du auch.«
    »Nun, wenigstens stimmen wir in diesem Punkt überein.«
    »Genau.«
    »Aber du hast noch immer unrecht.«
    James schüttelte den Kopf. »Du bist ein solcher fan-tung . Kein Wunder, dass Irene Ting dich nicht heiraten wollte!«
    Lu See, die sich gerade zu einem Büschel wilder Minze heruntergebeugt hatte, richtet sich wieder auf und wedelte mit den Armen. »Frieden. Frieden.«
    »Nur wenn James zugibt, dass er unrecht hat«, sagte Peter.
    »Du musst immer das letzte Wort haben, nicht wahr?«, fauchte James zurück.
    »Tu ich nicht!«
    »Siehst du?«
    »Was soll ich sehen?«
    Nachdem sie noch eine Weile weitergestritten hatten, drohte schließlich einer dem anderen damit, ihm den Mund zuzukleben.
    Mabel sah Lu See kichernd an und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. »Weißt du, Mama«, sagte sie. »Ich bin mordsmäßig froh, dass ich Einzelkind bin.«
    »Nun, mein mordsmäßig frohes Einzelkind, ich habe da eine Aufgabe für dich«, sagte Lu See. »Wie du weißt, haben die Japaner die Dorfkirche als Pferdestall genutzt. Holen wir uns also Besen und Eimer und machen sie sauber. Und wenn wir damit fertig sind, werden wir in den Dschungel gehen und einen Schatz ausgraben.«
    »Was für einen Schatz?«
    »Etwas, das in die Kirche gehört. Du wirst schon sehen.«
    Ein paar Stunden später sah die Kirche wieder so aus wie früher. Und sie roch auch so. Lu See und Mabel hatten geschrubbt, gescheuert und gekratzt, um den stinkenden Pferdemist zu entfernen. Es war ihnen sogar gelungen, dem Spieltisch und der Pedalklaviatur der Orgel etwas von ihrem früheren Glanz zurückzugeben. Zwar fehlten einige der Registerzüge, und im Gehäuse zeichneten sich etliche Hufabdrücke ab, insgesamt aber war Lu See nicht

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