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Das Haus der tausend Blueten

Das Haus der tausend Blueten

Titel: Das Haus der tausend Blueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Lees
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ihren Ohren alle Geräusche, alle Gedanken. Ihr Instinkt sagte ihr, so schnell wie möglich das Weite zu suchen. Sie ließ den Korb mit den Rüben fallen. Dann rannte sie mit Mabel die Straße hinauf auf das große Haus zu, während sie fürchtete, jeden Moment von hinten gepackt und zu Boden gerissen zu werden.
    Die Sonne brannte erbarmungslos auf sie beide herunter. Aber trotz der großen Hitze war Lu Sees Blut in ihren Adern zu Eis gefroren.
    An diesem Abend schlief Mabel in den Armen ihrer Mutter ein. Nachdem sie sie auf ihre geschlossenen Lider geküsst hatte, streichelte Lu See ihrer Tochter noch einmal über den Kopf und legte sie dann sanft ins Bett. Dann ging sie auf die Veranda und stand still im Schatten des Mondes da. Ihre Mutter trat neben sie.
    »Ist alles in Ordnung? Hast du Hunger?«
    »Mir geht’s gut.«
    »Du kannst mich nicht täuschen. Du machst ein Gesicht, als würdest du gerade in eine Zitrone beißen.«
    »Ich sagte, dass es mir gut geht.« Lu See verschränkte die Arme vor der Brust. »Es geht mir immer gut. Es geht mir schon mein ganzes Leben gut. Freimütig, unverwüstlich, gut, das bin ich.« Sie zog die Mundwinkel herunter.
    »Mach nicht so ein Gesicht, Lu See. Dein Vater hasst es, wenn du so ein Gesicht machst.«
    »Ah-Ba ist tot, Mutter.«
    »Ich weiß, dass er tot ist. Wie kommst du auf die Idee, dass ich das nicht wüsste?« Lu Sees Mutter schüttelte den Kopf.
    »Seine Pantoffeln stehen noch immer am Fußende deines Bettes.«
    Lu Sees Mutter ignorierte ihre Worte. »Mabel hat mir erzählt, was heute im Dorf passiert ist.«
    »Da war nichts. Es wurden nur ein paar alte Rechnungen beglichen. Sie haben einen der Spione erwischt.«
    Lu See sah den Mann, den die MPAJA -Soldaten zur Rechenschaft gezogen hatten, noch einmal vor sich. Er war es gewesen, dessen war sie sich jetzt ganz sicher: Der Mann war das Schwarzköpfige Schaf gewesen.
    »Nichts?« Ihre Mutter warf ihr einen irritierten Blick zu. »Was meinst du mit nichts ? Sie haben den Mann umgebracht! Sie haben ihn am Narra -Baum neben der Kirche aufgehängt. Es heißt, dass er ein Woo war.«
    Lu See hielt sich die Hand vor den Mund. »Dann ist er also endlich tot.« Sie schloss die Augen, wünschte sich, sie könnte das Sum Sum mitteilen.
    »Ich habe gehört, dass man auch euch gejagt hat.«
    »Man hat uns nicht gejagt.« Lu See rieb sich mit der Hand über die Stirn. »Ich wünschte, Mabel würde sich nicht solche Dinge ausdenken.«
    »Das würde nicht passieren, wenn du einen Ehemann hättest. Dein Vater war auch dieser Meinung. Er war krank vor Sorge um dich. Jedes Mal, wenn wir über dich gesprochen haben, sagte er: ›Sie muss einen Ehemann finden, bevor sie schrumpelig wie eine getrocknete Pflaume wird.‹«
    Lu See wollte dieses Thema nicht weiter vertiefen – als sie das letzte Mal über ihre Witwenschaft gesprochen hatten, hatte ihre Mutter behauptet, allein sie, Lu See, sei für die Depressionen ihres Vaters verantwortlich gewesen. Die vielen Sorgen, so hatte sie ihr vorgeworfen, hätten bewirkt, dass sich sein Verstand aufgebläht hatte wie ein schwerer, mit Wasser befüllter Ballon.
    »Und dann bist du auch noch nach England durchgebrannt und mit einem Baby zurückgekommen!«
    Onkel Hängebacke erschien in der Tür. »Baby? Ist jemand schwanger? Doch nicht etwa du, Lu See?«
    Lu See kniff sich mit Zeigefinger und Daumen gereizt in den Nasenrücken. »Nein, ich bin nicht schwanger.«
    »Wer dann?« Völlig verwirrt ließ er seinen Blick von seiner Schwester zu seiner Nichte wandern. Als ihm keine von beiden antwortete, verließ er das Zimmer, ohne ein weiteres Wort zu sagen.
    Ihre Mutter schüttelte traurig den Kopf. Sie starrte einige Augenblicke lang auf ihre Hände. »Was für eine Schande, meh , dass dein Vater sich auf diese Weise umgebracht hat.« Sie seufzte. »Jetzt muss ich meinen Kummer wie eine offene Wunde tragen.«
    Lu See drückte wieder die Haut zwischen ihren Augen. Sie war es gewesen, die ihn in der Küche gefunden hatte, die Pistole neben ihm und eine rote Girlande aus Blutspritzern an der Wand. Sein Körper hatte in einem grotesken Winkel auf dem Boden gelegen, und Lu See hatte zuerst nicht begriffen, warum die Schädeldecke ihres Vaters fehlte, warum seine Zunge an seinem Kinn hing, warum diese schwarze Masse an seiner Stirn klebte. Erst dann war ihr bewusst geworden, dass das Fliegen waren, die wie ein dunkel blubbernder Lavastrom über das rohe Fleisch waberten.
    Sie hatten ein Handtuch über sein

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