Das Haus der Tibeterin
zarte Gestalt. Er legte seinen Arm behutsam um ihre erstarrten Schultern, zog sie an sich.
»Hör zu«, sagte er leise und mit großer Wärme. »Unsere Kinder nehmen unsere Herzen, aber sie gehören uns nicht. Wir sind nur die Schützen, die für sie den Bogen des Lebens spannen. Sie aber fliegen mit dem Wind; und der Wind hat die größere Kraft.«
Sie saß ganz still, seine Stimme, an Longselas Wange, war nur ein Flüstern. Nach einigen Atemzügen antwortete sie, ebenso leise.
»Vielleicht sollte ich dankbar sein? Ich hatte drei wundervolle Kinder und einen liebevollen Mann. Es ist eine Gnade, dass ich dieses Glück wahrnehmen durfte.«
»Ja«, sagte er, »auch ich bin dankbar für jeden Tag, den ich mit Tesla verbrachte. Mein Sohn lebt sein eigenes Leben, ein Pfeil, der mit dem Wind fliegt. Wozu mehr verlangen? Ruft das Schicksal, werde ich bereit sein.«
»Ach, Kanam, ich nicht! Ich bin ängstlich und einsam!«
»Du bist aus Stahl.«
»Oh nein, ich habe große Furcht.«
»Auch Stahl hat Furcht. Stahl schreit, wenn er geschmiedet wird. Stahl biegt sich, wenn wir ihn belasten. Alle Dinge sind beseelt. In früheren Zeiten wussten das auch die Chinesen. Doch bis auf Weiteres passt dieser Denkbereich nicht in ihr Programm.«
Dass sie weinte, merkte sie erst, als sie Nässe auf ihrem Gesicht spürte. Er streckte die Hand aus, fing behutsam mit einem Finger die Tränen auf, die über ihre Wange rollten.
»Eine Träne für deinen Mann«, murmelte er, »eine Träne für deine Kinder, und vielleicht auch eine Träne für mich.«
Und dann war es einen Atemzug lang, während sie einander ansahen, als überkäme sie das Wunderbare, die letzte Erfüllung. Gemeinsam stieg sie in ihnen auf, diese merkwürdige Traurigkeit, gemischt mit Freude. Als ob es im Wesen der Liebe lag, nicht nur Glück, sondern auch Unruhe, Erschrecken zu bringen. Zuerst schmerzte es Longsela, als das Schluchzen
in ihr hochstieg. Dann aber erleichterte es ihr Herz, und als er sie in seine Arme nahm, fiel alle Spannung, aller Zwang von ihr ab. Sie war eine Frau, die einst sehr schön gewesen war, die das Begehren gekannt hatte. Die vertrauten Gesten und Bewegungen waren noch in ihr. Es war, als ob die Leidenschaft durch ihren Körper schoss wie ein Strahlenbündel, alle Verkrampftheit auflöste und allen Schmerz. Sie krallte sich an seinen Schultern fest, wandte das Gesicht auf seiner Brust hin und her, schmeckte das Salz auf seiner Haut, diese warme, geschmeidige Glätte. Sie küssten sich, lange, gierig und atemlos. Sie streichelte über seine Arme, den Rücken entlang, gab sich dem Spiel seiner elastischen Muskeln hin. Sie wusste nicht, warum sie so eng miteinander verbunden waren, sie hatte es nie verstanden; sie fühlte nur, dass sie und er den gleichen Zeichen angehörten. Sie hörte, wie er dicht an ihrem Ohr leise Worte flüsterte, Worte in seiner Nomadensprache, die ihr fremd waren. Irgendwann schoss ihr durch den Kopf, dass sie Paldor betrog, dass sie - wo sie doch ihre Mutter nicht einmal bestattet hatte - sich einem anderen Mann hingab. Sie verspannte sich wieder und zog die Arme fest an an sich, doch er schien zu spüren, was in ihr vorging, drückte sie nieder mit seinem ganzen Körpergewicht, drang mit festen, beharrlichen Stößen in sie ein. Sie war gebannt von der dunklen Zauberkraft, die auf seinem Gesicht flackerte, aus seinen zusammengezogenen Pupillen leuchtete. Da löste sich ihr Widerstand, sie verzichtete auf den eigenen Willen. Sie fühlte nur noch sein pochendes Leben in sich, das Leben, das sie festhalten wollte, diese Kraft, die in ihr wuchs mit der sich ausbreitenden Wärme. Sie war keine verschüchterte junge Frau mehr, und er kein ungestümer Junge. Sie waren zwei erwachsene Menschen, ebenbürtig in Erfahrung, abgeklärt durch Schmerz und Leid. Solange ihre Körper auf diese Weise verbunden blieben, waren sie ein Fleisch und Blut, ein einziges Wesen. Ja, sie beide waren frei, und sie kannten keine Hemmungen, keine Scham. Er bewegte sich
lang und bedächtig in ihr, sie öffnete sich ganz, wurde feucht wie eine Muschel. Das Gefühl hatte sie schon lange nicht mehr gekannt, aber niemals vergessen, und sie feierte seine Rückkehr wie eine kostbare Gabe. Sie stöhnte vor Begehren, wölbte den Rücken in einem Bogen, presste seine Hüften zwischen ihren abgemagerten, aber festen Schenkeln. Alles glühte in ihr, sie spürte nur noch diese blinde Verzückung, diese alles verschlingende Lust, einer wild aufflackernden
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