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Das Haus der Tibeterin

Titel: Das Haus der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica Cesco
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sich den Mund spülten und überdreht lachten. Ihr künstlicher Frohsinn machte mich zunehmend gereizter. Mein Kopf brummte, jede Kleinigkeit brachte mich in Wut. Meine Lider waren wie Blei, ich hatte ein starkes Bedürfnis nach Schlaf. Nachdem ich den heißen Tee getrunken hatte, verzog ich mich in das Zelt, das ich mit drei Kameraden teilte, die noch in lustiger Gemeinschaft am Feuer saßen. Doch als ich mich in meine Decke gewickelt hatte, gefiel es mir auch nicht. Der Boden unter mir war eiskalt, die Feuchtigkeit drang mir in die Knochen. Ich klapperte mit den Zähnen, mein Mund war voller bitterer Spucke. Wurde ich am Ende krank? Ich spürte, wie meine Eingeweide rebellierten, stand auf und suchte eine abgelegene Stelle, wo ich mich erleichtern konnte. Als ich meine Kleider wieder in Ordnung brachte, fühlte ich mich keineswegs besser. Mein Kopf schmerzte, die Temperatur stieg, der Wind war viel zu warm für die Jahreszeit. Ein Grauen kroch mir über die Haut. Ich sah das Feuer zwischen den Tannen leuchten, und plötzlich war mir, als sähe
ich Missgeburten aus einer anderen Welt sich im roten Licht dort bewegen, wenngleich ich doch wusste, dass es die Kameraden waren und ihre verlängerten Schatten. Ob ich wohl Fieber hatte? - Nein, meine Stirn fühlte sich kalt an. Ich brauchte frische Luft, das war alles. Ich machte ein paar Schritte, atmete in tiefen Zügen. Ja, die Luft tat mir wohl. Fast ohne es zu merken, wanderte ich den Hang hinauf, bis ich dunkle Felswände durchschimmern sah. Die Gespräche der Kameraden drangen immer undeutlicher an mein Ohr; bald war das Feuer nur ein blasser rosa Schein, der allmählich verschwand. Meine Kleider streiften kahle Zweige, der noch vereiste Boden knarrte unter meinen Füßen. Außer dem Geräusch meiner Schritte umgab mich eine seltsame Stille, gleichsam gespenstisch und feierlich, eine Stille, die meinen Atem schluckte. Der Gipfelhang war mir zu steil, zu dunkel, zu gefährlich. Ich dachte, ich muss zurück, sonst finde ich den Weg nicht mehr. Ich machte kehrt und merkte plötzlich, dass ich über einen vereisten Bergbach ging. Die Eisschicht zerbrach unter meinen Füßen, und ich wich schnell zurück. Mein Magen hatte sich beruhigt, ich war todmüde und wollte nur noch schlafen. Plötzlich fiel mir auf, dass ein Strauch vor mir eine seltsame Form hatte. Mit stumpfer Neugierde ging ich darauf zu und sah unter den Zweigen einen Leichnam. Der starre Körper war halbnackt unter einer roten Robe. Man hatte dem Mann die Kehle durchgeschnitten. Obwohl ich schon viele Leichen gesehen hatte, verursachte mir dieser Anblick ein furchtbares Gefühl, eine Art Schock. Im selben Augenblick entdeckte ich, dass der Tote keineswegs einsam dalag. Noch mehr Leichen waren über den Hang verstreut, alles Mönche, die hier den Tod gefunden hatten, ältere Männer ebenso wie ganz junge, knapp zwölfjährige Novizen. Fast alle waren nackt und hatten überhaupt keine Farbe mehr außer einem seltsamen Grau, als seien sie bereits mit dem Boden verwachsen. Der ganze Wald, die Schneehänge, die erfrorenen Leichen schienen sich vor meinen Augen zu drehen.
Ich musste mich an einen Baumstamm klammern, um nicht in Ohnmacht zu fallen. Mein Schädel schien geöffnet zu sein, von Funken durchströmt. Ich schnappte nach Luft und wollte schreien, wollte die Kameraden rufen, damit sie mir zu Hilfe kämen. Doch der Schrei blieb mir in der Kehle stecken. Denn ein Teil von mir hatte seine Besinnung bewahrt, dachte logisch und klar. Ich konnte mir vorstellen, was hier geschehen war. Es gab noch eine Anzahl kleiner Klöster im Gebirge, die an verborgenen Orten ihr eigenständiges Leben führten. Ein Bataillon hatte diese Mönche gefunden, vielleicht, als sie Holz sammelten, und sie niedergemetzelt. Ach, hatte ich denn vergessen, dass für die Han-Chinesen jeder Mönch, jede Nonne Freiwild war? Ich kämpfte gegen das Grauen an, fürchtete, es würde mich in Stücke reißen. Ich machte kehrt, floh vor den grausigen Bildern, lief taumelnd durch die Nacht. Ein dunstiger Mondsplitter wanderte über die Berge, begleitete meine Flucht. Meine Ohren waren voll raschelnder, berstender Geräusche: der eigene Atem, das schluchzende Keuchen, das wirre Stapfen meiner Füße. Meine Nase nahm die vielen modrigen Gerüche des Berges wahr, während Nässe meine Haut überzog. Das schnelle Laufen hatte das verursacht, meine Poren schwitzten Feuchtigkeit aus: mein ganzer Körper weinte. Wenn die Wolkendecke aufriss, strahlten die

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