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Das Haus der Tibeterin

Titel: Das Haus der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica Cesco
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erzählte ich von dem Mönch, der vor einer Butterlampe betete und Buddha erträumte. Und ich erzählte von dem Geheimnis, das er mir anvertraut hatte.
    »Du musst nicht glauben, Amla, dass mich plötzlich die Erleuchtung überkommen hätte. Nicht etwas so Aufsehenerregendes. Selbstlosigkeit interessiert mich nicht. Mir scheint nur, ich könnte vielleicht eine stärkere Empfindsamkeit entwickeln.«
    Sie lächelte mich an; die Zärtlichkeit und der Stolz dieses Lächelns erschütterten mich.
    »Solche Mönche, wie du das Glück hattest zu begegnen, sind stets auf der Suche nach Menschen, an denen sie ihr Wissen weitergeben können. Sie erkennen diese Menschen mit sicherem Instinkt. Die laufen ja nicht in Mengen durch die Straßen. Sie sind sogar recht selten, würde ich sagen. Mich hätte dieser Mann überhaupt nicht wahrgenommen.«
    Sie lachte ein wenig. Ihr Lachen hörte sich jugendlich und verlegen an. Ich konnte anders träumen als sie, lebenswarm, geheim. Auch wenn ich wusste, dass das Haus eine Traumausstrahlung war, eine Vision, ein Ergebnis gewaltig konzentrierten Denkens und Fühlens, blieb für mich die Entdeckung immer noch der wesentliche Teil. Ich war eben ein sehr neugieriger Mensch.
    Sonam stand auf, ließ die Maschine an und kam mit frischem Kaffee zurück. Ich wappnete mich mit Mut, denn jetzt
kam das Schwierigste. Als sie mir wieder gegenübersaß, sagte ich: »Amla, da ist noch etwas, das ich dir sagen muss. Ich weiß nicht … ob es dir etwas ausmachen wird, es zu wissen. Der Nomade, der dir auf der Flucht half …«
    Sie unterbrach mich mit heftiger Regung. Ich starrte in ihre unheimlich flackernden Augen. Sie glich auf einmal einer Katze, die Funken sprüht.
    »Redest du von Alo?«
    »Amla, was ich dir sagen will … er hatte eine Tochter.«
    Da schüttelte sie leicht den Kopf, als wollte sie sagen: Fehlalarm!
    »Aber das weiß ich doch längst. Ihre Mutter war an Pocken gestorben. Die Kleine wuchs bei Verwandten auf. Alo konnte sie ja nicht bei sich haben. Sie hieß Tseyang. Hast du etwas über sie erfahren?«
    »Sie wurde in Drapchi gefoltert und starb. Herzversagen.« Unvermittelt stieß sie eine Art erstickten Schrei aus und schlug beide Hände vors Gesicht.
    »Warum wurde sie verhaftet? Warum nur?«
    »Sie hatte eine Bombe gelegt.«
    »Wer hat dir das gesagt?«
    »Lhamo.«
    »Wann war das?«
    »Irgendwann in den Achtzigerjahren. Ich weiß nichts Genaues.«
    Sie wiegte sich leicht vor und zurück. Es lag so viel Schmerz in ihrer wiegenden Bewegung, so viel Traurigkeit in ihrer Stimme, in ihren erstickten Klagelauten. Dann ließ sie ihren Atem bis zur völligen Tonlosigkeit entweichen, bevor sie wieder Luft holte und mit intensiver Anstrengung sagte: »Warum hat sie das getan? Sie konnte doch nichts bewirken!«
    Ich legte meine Hand auf ihre, die leicht zitterte.
    »Sie hatten ihren Mann umgebracht.«
    Sie schluckte schwer.

    »Ach so, jetzt verstehe ich.«
    Ich umfasste ihre Hand und drückte sie.
    »Noch etwas. Tseyang hatte einen kleinen Sohn, der im Gefängnis geboren wurde. Lhamo hat ihn eine Zeit lang zu sich genommen.«
    Ich erzählte die ganze Geschichte. Sonam saß unbeweglich da. Ihr Gesicht hatte wieder etwas Farbe bekommen.
    »Himmel!«, flüsterte sie. »Was für ein Mut!«
    »Lhamo wusste schon, was sie tat. Und ich glaube auch, dass sie ihren Mann ganz gut kannte. Mir scheint, die beiden spielten ein sonderbares Spiel miteinander.«
    Sie nickte, geistesabwesend.
    »Das arme Kind! Chinesische Waisenhäuser sind der Vorhof zur Hölle. Es war sein Glück, dass der Kleine adoptiert wurde. Wie alt mag er jetzt sein?«
    »Ungefähr in meinem Alter, nehme ich an.«
    Sie spielte mit ihrem Zopf, wie sie es manchmal tat.
    »Ich glaube nicht, dass er in der Schweiz ist. Wäre er hier, würde ich das wissen. Ich kenne fast alle Tibeter hier; wir haben ja unsere Zusammenkünfte. Du solltest übrigens auch öfter hinkommen.«
    »Vielleicht hat er keinen Kontakt mehr zu Tibetern.«
    »Das würde mich doch sehr wundern. Meistens sorgen die Eltern gut dafür, dass die Adoptivkinder ihre ursprüngliche Kultur kennen.«
    »Ich werde mal nachforschen«, sagte ich.
    »Ich glaube zwar nicht, dass das etwas bringt, aber trotzdem …«
    Ihr unsteter Blick glitt an mir vorbei.
    »Ja, man kann nie wissen …«
    Sie griff wieder nach einem Buttergipfel und begann zu essen. Sie wurde dabei nervös und hastig. Ich beobachtete sie mit schmerzlicher Zärtlichkeit. Mir kam dabei in den Sinn, dass sie Alo wohl

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