Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Haus der Tibeterin

Titel: Das Haus der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica Cesco
Vom Netzwerk:
wieder; auch während der Arbeit am Bildschirm hatte ich oft das Telefon am Ohr. Und eines Nachmittags, während ich lustlos das Handy in der einen Hand hielt und mit der anderen die Maus über das Mousepad bewegte, ließ das schon beinahe nicht mehr erwartete Klingeln mich zusammenfahren, und ich hörte eine mir unbekannte männliche Stimme. Vor Überraschung entglitt mir fast das Handy.
    »Hallo, hier ist David von Garnier«, sagte die Stimme. »Wer ist am Apparat?«
    In meinem Kopf gab es einen Kurzschluss; völligen Stromausfall. Ich schluckte.
    »Ich … ich habe Sie nicht richtig verstanden. Mit wem spreche ich da?«
    »Mit David.« Die Stimme klang freundlicher und gewiss gelassener als meine. »Mir scheint, Sie haben schon mehrmals angerufen.«

    »Ja, ja, die ganze Zeit. Seit zwei Wochen, morgens, mittags und abends. Ich habe Sie auch schon per E-Mail zu erreichen versucht und Sie mit SMS bombardiert.«
    »Die habe ich gerade gesehen. Was kann ich für Sie tun?«
    Ich nannte meinen Namen und fügte schnell hinzu, dass ich aus Zürich anrief.
    »Es tut mir leid, wenn ich Sie überfalle. Könnte ich vielleicht mit Kanam sprechen?«
    Es folgte eine längere Stille. Dann sagte der Mann am anderen Ende der Leitung: »Ihr Name hört sich tibetisch an.«
    »Ja, ich bin Sonams Tochter.«
    Abermals Stille. Ich hörte mich atmen.
    »Entschuldigen Sie«, sagte der Unbekannte schließlich. »Aber wer ist Sonam?«
    Himmel, dachte ich, das geht so nicht weiter, da muss irgendein Missverständnis vorliegen! Ich versuchte David von Garnier zu erklären, worum es überhaupt ging. Die Geschichte war aus vielen Bruchstücken zusammengesetzt. Jedes einzelne war eine Einheit für sich, vielfach verwandelt, aber immer war es auch ein Teil der Geschichte. Ich versuchte, sie in ein paar Sätze zu pressen, ein Mindestmaß an Informationen, denn womöglich ging ihn die Sache gar nichts an, und ich stahl ihm nur seine Zeit.
    »Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, dass ich mich so aufdränge«, sagte ich abschließend. »Es könnte ja sein, dass ich mich irre und Sie umsonst belästigt habe.«
    Diesmal dauerte die Stille etwas länger. Ich spürte, wie ich zitterte, und presste das Handy an meine Wange, damit ich es nicht fallen ließ. Ich kam mir taktlos und grob vor, bis der Unbekannte plötzlich das Schweigen brach.
    »Sie haben sich nicht geirrt«, sagte er langsam. »Mit zweitem Vornamen heiße ich Kanam. Vielleicht bin ich die Person, die Sie suchen.«
    Ich brauchte ein paar Sekunden, um wirklich zu begreifen.
Ich wusste nicht, ob er dasselbe fühlte wie ich, aber es gibt Augenblicke, die sprachlos machen. Es ist, als ob in unserer Umgebung Blitze einschlagen, bald näher, bald weiter, und das flackernde Licht uns ganz benommen macht. Ich sagte mit rauer Stimme: »Ich … ich war einfach nicht darauf vorbereitet. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich bin völlig durcheinander!«
    »Das bin ich jetzt ebenfalls.«
    »Bitte, können wir uns mal treffen?«
    »Ja«, sagte David Kanam, »ich glaube, da gibt es Dinge, die wir besprechen sollten.«
    Am Donnerstag hatte ich meinen freien Nachmittag. David sagte, dass er einen bevorstehenden Termin in Zürich auf den Donnerstag legen konnte. Wir verabredeten uns für drei Uhr im Café Schober.

NEUNUNDVIERZIGSTES KAPITEL
    A m Donnerstag fiel Schnee. Es war das erste Mal in diesem Winter. Um eins hätte ich das Büro verlassen können, aber ich blieb noch eine Stunde und überprüfte alle Servicefunktionen in unserem neuen Gebäude in Glatt-Brugg. Der Computer war in dieser Hinsicht sehr zuverlässig, ein guter Partner, der von Emotionen ablenkte. Um halb drei machte ich mich auf den Weg in die Stadt. Ich hatte den Wagen an diesem Morgen in der Garage gelassen und war mit der Straßenbahn zur Arbeit gefahren. Jetzt stapfte ich in Stiefeln durch den Schneematsch, die Mütze ins Gesicht gezogen und frierend. Ganz Zürich versank im Verkehrschaos, die Autos stauten sich, nur die Straßenbahnen fuhren wie gewohnt.
    Das Café Schober in der Zürcher Innenstadt lockte schon von Weitem mit grün-goldenen Weihnachtsgirlanden und Schleifen. Ich stieß die Tür auf, ging durch das Ladenlokal, vorbei an den Kuchen und Pralinen und der gigantischen Registrierkasse - ein Relikt von früher -, und trat in das eigentliche Café. Die Wände waren nach französischen Vorbildern bemalt, mit dahinschwindenden Farben und homöopathisch dosierter Eleganz. Schön poliertes Parkett, bequeme Polster, Silber,

Weitere Kostenlose Bücher